Das zehnte Spiel der Schach-WM 2024 endet recht unspektakulär im Remis, wodurch es nun 5,0 zu 5,0 steht. Ding Liren wählte zum zweiten Mal bei dieser Weltmeisterschaft das Londoner System, mit dem er ohne Risiko eine ganz leicht vorteilhafte Stellung erreichte, in der Gukesh D sich präzise verteidigte und mit 14... Txd8 anstelle von 14... Lxd8 zumindest auch ein kleines Ungleichgewicht in den Bauernstrukturen schuf. Letztlich war die Stellung jedoch so, dass der Herausforderer nur mit enormen Risiken etwas hätte probieren können, während Ding Liren zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle über die Partie hatte und diese bewusst ruhig hielt. Sehr früh war klar, dass das Spiel im Remis enden würde, das letztlich dann auch nach gerade einmal zweieinhalb Stunden noch vor dem 40. Zug über die dreifache Stellungswiederholung erreicht wurde. Nach den zuletzt so unerbittlich geführten Partien wirkt das insgesamt wenig aufregende heutige Spiel wie die erneute Ruhe vor dem Sturm. Morgen geht es dann jedenfalls mit einer Weiß-Partie von Dommaraju Gukesh weiter.

Das bewertet auch Dommaraju Gukesh auf diese Weise. Der 18-Jährige komplettiert mit 36... Lc6 die dreimalige Stellungswiederholung, woraufhin sich beide Spieler die Hände reichen. Das insgesamt wenig aufregende zehnte Match der Schach-WM 2024 kommt damit einem Waffenstillstand gleich und endet im Remis.

Mit 32... h6 sind die Bauern nun festgelegt, woraufhin die Spieler ihre Läufer auf den b- und c-Linien hin- und herschieben. Alles ist für die dreifache Stellungswiederholung angerichtet, die nun aber abermals Gukesh D komplettieren muss. Zuletzt ging er dem Remis auf diese Weise unterwegs. Heute ist allerdings eigentlich gar kein Grund mehr zum Weiterspielen zu erkennen.

Die Züge kommen jetzt sehr schnell aufs Brett. Kein Wunder, denn hier ist nicht mehr viel los und das Remis liegt in der Luft. Ding Liren hat keinerlei Risiko. Gukesh D muss im Endeffekt einfach nur die Füße stillhalten und aufpassen, dass ihm kein grober Fehler unterläuft.

Jetzt tauschen sich auch noch die Springer ab, woraufhin Ding Liren mit 28. f4 die Bauernstruktur am Königsflügel festlegt. Theoretisch könnten die schwarzen Bauern, die dort auf Weiß stehen, vom weißfeldrigen Läufer angegriffen werden. Dazu bedürfte es aber ein erhebliches Zutun des Inders.

Ding Liren nimmt das Angebot an. Es ist ein weiterer Abtausch und der nächste kleine Schritt in Richtung Remis, das vor dem 40. Zug jedoch nur durch eine dreifache Stellungswiederholung entstehen könnte, die im Moment nicht zu sehen ist.

Der indische Herausforderer bietet nun mit 23... Tc8 den Abtausch der letzten verbliebenen Schwerfiguren an.

Nach den zuletzt so reichhaltigen Stellungen ist die heutige Partie wirklich ausgesprochen zäh. Beide Spieler agieren sehr passiv und scheinen bei einem Remis nicht allzu viel Kraft lassen zu wollen. 23. g3 ist von Ding Liren der nächste ruhige Zug.

Mit 47:26 Minuten Restbedenkzeit führt Dommaraju Gukesh nun den Zug 22... Se7 aus.

Zwar ist in der Stellung objektiv nicht mehr allzu viel los. Ein krummer Zug kann jedoch dazu führen, dass es doch noch einmal spannend wird und einer der beiden Spieler praktische Chancen bekommt, weshalb Gukesh D abermals das Tempo rausnimmt und schon seit zehn Minuten überlegt, wie er am besten fortsetzt.

Ding Liren stellt seinen Läufer besser, der auf e2 ein neues Feld findet und gleichzeitig damit auch den Turm auf c1 befreit, der nun womöglich das frei gewordene Feld c4 besetzen könnte.

Beide Spieler erzielen weitere Fortschritte mit ihrem König.

Der Herausforderer setzt ebenfalls mit einem Bauernzug fort und schafft damit auch eine mögliche Route für seinen König, um über die schwarzen Felder weiter aktiviert zu werden.

Mit 60:54 Minuten Restbedenkzeit zieht Ding Liren nun 20. a3, was die Position nicht wirklich verändert. Auch Gukesh D hat noch ziemlich genau eine Stunde auf der Uhr.

Auch der indische Großmeister aktiviert nun seinen König, der über g7 ins Spiel kommt.

Gukesh hält kurz inne und überlegt erneut, wie er den Turm nimmt: mit dem Springer oder dem Turm. Er entscheidet sich für den Turm, der damit die offene Linie besetzt, woraufhin Ding Liren sofort seinen König aktiviert und über f1 ins Spiel bringt. Ein Remis-Angebot darf bekanntlich noch nicht ausgesprochen werden, weshalb die Partie natürlich noch ein Weilchen andauern wird. Objektiv ist allerdings nicht mehr allzu viel los. Sollte sich nicht einer der beiden Spieler einen großen Fehler leisten, was in der nicht mehr allzu komplexen Stellung auf diesem Niveau eine große Sensation wäre, sollte es nach dem heutigen Spiel aber 5,0 zu 5,0 stehen.

Jetzt tauscht der Weltmeister auch noch den ersten Turm vom Brett. Hier steuert alles auf ein nicht allzu hart umkämpftes Remis zu.

Nachdem Gukesh seine Entscheidung getroffen hat und mit dem Turm schlägt, geht alles recht schnell. Es tauschen sich weitere Figuren und es entsteht das angesprochene Ungleichgewicht in der Bauernstruktur, die für Schwarz aber völlig in Ordnung ist. Der Inder überführt anschließend seinen weißfeldrigen Läufer nach e8, womit seine Türme verbunden sind.

Ding Liren entscheidet sich jetzt dafür, ohne Risiko und ohne Ungleichgewicht Figuren vom Brett zu tauschen. Gukesh D überlegt nach 14. Dxd8 nun, wie er die Dame zurücknimmt. Txd8 könnte nach Lxf6 und gxf6 zumindest ein gleiches Ungleichgewicht in die Stellung bringen, während Lxd8 die Symmetrie erhalten würde.

Gukesh D lässt nicht allzu viel Zeit verstreichen und zieht seinen im vorletzten Zug nach h5 gezogenen Springer zurück nach f6.

Nach der nächsten längeren Denkpause setzt der Chinese nun mit 12. Se4 fort. Ein durchaus interessanter Zug, mit dem er sämtliche Spannungen weiterhin aufrechthält.

Gukesh D schaut dieses Mal nur kurz rein und zieht dann den Läufer dazwischen. Die Frage, ob die Damen getauscht werden sollen, darf somit nun wieder von Ding Liren beantwortet werden.

Auch Ding Liren investiert über 25 Minuten seiner Zeit und zieht dann den angegriffenen Läufer nach g5, womit er die gegnerische Dame angreift und womöglich nun den Tausch der Damen erzwingt, die sich nach wie vor gegenüberstehen. Anschließend könnte der Läufer mit h6 direkt erneut befragt werden.

Der Titelverteidiger nimmt sich ebenfalls Zeit, ausführlich in die Stellung zu schauen. Schon zehn Minuten denkt auch Ding Liren darüber nach, wie er am kraftvollsten fortsetzen kann.

Nach 25 Minuten des Nachdenkens trifft der 18-jährige Inder nun seine Entscheidung: Er greift mit Sh5 den schwarzfeldrigen Läufer von Ding Liren an.

Offenkundig geht heute Ding Liren als Gewinner aus der Eröffnung hervor, denn Dommaraju Gukesh denkt in dieser komplizierten Stellung bereits seit über zehn Minuten nach, was zeigt, dass er hierauf nicht vorbereitet ist.

Ding Liren hält die Spannung aufrecht und nimmt zunächst mit seinem Läufer den Bauern auf c4 zurück. Interessant ist, dass in genau dieser Stellung auf Topniveau bereits acht verschiedene Züge von Schwarz gespielt wurden. In absteigender Häufigkeit waren das: a6, Dxd1, De7, Sh5, Ld7, b6, Le7 und h6. Sollte Gukesh D also eine solche Stellung noch nicht analysiert haben, dürfte er nun etliche Kandidatenzüge zum Prüfen haben.

Nachdem der Weltmeister seinen Springer am Damenflügel ebenfalls entwickelt, nimmt Dommaraju Gukesh nun auf c4 raus. Das bietet nun auch den Abtausch der Damen an, die sich auf der offenen d-Linie jetzt gegenüberstehen.

Der Inder entwickelt seinen Springer. Interessant ist, dass es die aktuelle Stellung nicht nur zwischen Richárd Rapport und Sam Shankland (2019) schon gab, sondern auch zwischen Richárd Rapport und Levon Aronian (2018).

Auch Ding Liren rochiert nach kurzer Bedenkzeit, wodurch die Partie über Zugumstellung nun wieder in der angesprochenen Vorgängerpartie von Sekundant Richárd Rapport landet.

Der 18-Jährige macht das einzig Richtige: Er verschenkt keine Zeit und setzt logisch fort, indem er seinen König in Sicherheit bringt und kurz rochiert.

Ding Liren schaut einen kurzen Augenblick in die Stellung und setzt dann mit dem interessanten Zug 7. c4 fort, der in dieser Stellung auf Topniveau noch nie gespielt wurde. Bemerkenswert früh hat das zehnte Spiel der Schach-WM 2024 damit eine einzigartige Stellung erreicht, was dem Weltmeister sicherlich in die Karten spielen dürfte. Schwer vorstellbar, dass Gukesh D auf so eine Variante vorbereitet ist und mehr kennt als die typischen Ideen.

Nachdem der schwarzfeldrige Läufer seines Gegners gezogen hat, nimmt Ding Liren auf c5 aus, woraufhin der schwarzfeldrige Läufer erneut ziehen muss, um den Bauern zurück zu gewinnen. Ein typisches Motiv in dieser Stellung, die es interessanterweise schon zwischen Ding Lirens Sekundanten Richárd Rapport und Sam Shankland im Jahr 2019 gab. Rapport setzte damals mit der Rochade fort.

Der 18-jährige Inder bietet mit Ld6 nun den Abtausch der schwarzfeldrigen Läufer an.

Der Weltmeister setzt mit 5. Le2 sehr ruhig fort. Gukesh D wirkt nicht unvorbereitet, hat aber keine direkten Antworten parat, was dafür spricht, dass er heute womöglich mit einer anderen Eröffnung gerechnet hat.

Auch heute greift Dommaraju Gukesh mit 4... c5 direkt wieder das weiße Zentrum an.

Ding Liren entscheidet sich dafür, erneut das Londoner System aufs Brett zu bringen, was Gukesh D sichtlich überrascht. Im ersten London-Spiel wurde es wegen des frühen c5 des jungen Inders sehr scharf. Wie setzt er heute fort?

Es gibt keinen fünften Eröffnungszug. Ding Liren kehrt heute wieder zu 1. d4 zurück.

In vier Weiß-Partien spielte Ding Liren bislang vier unterschiedliche Eröffnungszüge: 1. e4, 1. d4, 1. Sf3 und zuletzt 1. c4. Schon zwei Mal lief er dabei in eine gegnerische Vorbereitung rein und musste – wie übrigens auch bei den meisten seiner Schwarz-Partien – lange nachdenken und die Züge am Brett finden, während sein junger Herausforderer von seiner Vorbereitung profitierte und die Züge rasch aus dem Gedächtnis spielen konnte. Umso interessanter ist die Frage, welche Strategie der Weltmeister am gestrigen Ruhetag mit seinem Team für die heutige Weiß-Partie gewählt hat, um genau diesem Szenario aus dem Weg zu gehen. Sein Sekundant Richárd Rapport gilt jedenfalls als einer der kreativsten Spieler der Welt, der viele unorthodoxe Ideen in der Eröffnung einbringt. Gut möglich, dass wir seinen Einfluss heute zu sehen bekommen.

Auffällig ist, dass der 32-jährige Chinese seine zum Teil leicht vorteilhaften Stellungen gar nicht so gut bewertete und zumeist bereitwillig ins Remis abwickelte, anstatt etwas zu probieren. Auf der anderen Seite ging Gukesh D, der seine eher suboptimalen Stellungen deutlich besser bewertete, als sie waren, schon zwei Mal zu seinen Ungunsten einer dreifachen Stellungswiederholung aus dem Weg und spielte mit teilweise hohem Risiko weiter, wodurch die letzten Spiele einiges geboten haben. Auch am Donnerstag wurde gespielt, bis nur noch die beiden Könige auf dem Brett waren.

Nachdem der WM-Kampf mit einem Paukenschlag begann, als Titelverteidiger Ding Liren – von praktisch allen Experten gemeinhin als Außenseiter gesehen – direkt die erste Partie mit den schwarzen Figuren gewann. Als Dommaraju Gukesh dann im dritten Spiel ausglich, drehte sich das Momentum aber direkt wieder. Zwar gingen sechs Partien hintereinander remis aus. Zuletzt gab es aber praktisch immer Chancen für mindestens einen der beiden Spieler, auf Sieg zu spielen.

Guten Tag und herzlich willkommen aus Singapur, wo heute die Schach-WM 2024 zwischen Weltmeister Ding Liren und Herausforderer Dommaraju Gukesh in die bereits zehnte Runde geht. Nach neun von bis zu 14 Partien steht es 4,5 zu 4,5. Die weißen Figuren führt heute wieder der amtierende Weltmeister. Freigegeben wird das Brett um 10:00 Uhr.