Das vermutlich dynamischste Spiel der Schach-WM 2024 endet remis, womit es nun 4,0 zu 4,0 steht. Genau wie gestern ist Dommaraju Gukesh als klarer Gewinner aus der Eröffnung hervorgegangen und zeigte sich bemerkenswert gut vorbereitet, obschon Ding Liren mit 1. c4 seinen bereits vierten verschiedenen ersten Zug im Rahmen dieses WM-Kampfs spielte. Erneut kämpfte der Weltmeister mit einem großen Nachteil auf der Uhr um Ausgleich und geriet dabei mit 22. Tb1 und 25. Lb2 mit zwei ungenauen Zügen binnen kürzester Zeit in eine sehr missliche Lage, die sein junger Herausforderer aber nicht ausnutzen konnte. Stattdessen war es dann auf einmal Gukesh D, der sich mit 26... Sac5 und 28... Le6 zwei Fehler in Folge leistete, die erst seinen Vorteil hergaben und ihn anschließend selbst in eine Verluststellung brachten. Möglicherweise aber auch deshalb, weil er zuvor selbst auf Verlust stand, ließ Ding Liren dann schon wieder den Killerinstinkt vermissen und wickelte ins Remis ab, als die Stellung zunehmend abflachte. Ein Ergebnis, mit dem beide Spieler wohl leben müssen, obschon es für Gukesh, der genau wie gestern hervorragend aus der Eröffnung kam und eine Gewinnstellung erspielte, sicherlich enttäuschender sein wird.

Ding Liren sieht scheinbar nichts Besseres und wickelt anschließend genauso ab, wie eben prognostiziert. Da nach dem 40. Zug auch Remis-Angebote am Brett möglich sind, bietet Gukesh D nach 51... Sxb2 das Unentschieden an, das der Chinese natürlich sofort annimmt. Ein wildes Spiel endet damit remis.

Der indische Großmeister dringt nun erneut auf der zweiten Reihe ein und hat ein Auge auf den h-Bauern. Nun könnte allerdings Ding Liren mit De4+ den Damen-Tausch erzwingen, woraufhin die Partie im Rahmen einer sehr forcierten Variante im Remis enden würde. Die Züge lauten: 47... Dxe4 48. dxe4 b2 49. Tb1 La2 50. Txb2 Sc4+ 51. Kc3 Sxb2 52. Kxb2. Anschließend wäre das Remis bei ungleichfarbigen Läufern trotz dem Mehrbauern des Weltmeisters nur noch eine Formsache. Wohl wissend, dass er so jetzt ins Remis abwickeln könnte, nimmt Ding Liren einen tiefen Schluck aus seiner Wasserflasche und schaut noch einmal tiefer in die Stellung hinein.

Der Titelverteidiger geht mit Db4 nicht nur aus der Fesselung raus, sondern hat auch direkt ein Auge auf den gefährlichen b-Bauern, der die Stellung für Gukesh weiterhin in der Balance hält.

Der junge Inder investiert weitere sieben Minuten seiner auf 18:45 Minuten zusammen geschrumpften Bedenkzeit und zentralisiert dann seine Dame erneut. Der Ball liegt damit wieder bei Ding Liren, der noch 24 Minuten hat. Neue Zeit gibt es übrigens nicht mehr. Dafür aber seit dem 41. Zug ein Inkrement von 30 Sekunden pro ausgeführtem Zug.

Den Turm nicht vor den b-Bauern zu ziehen, sondern nach c1, wo er b2 fast schon provoziert, jedoch wohl nicht mehr zu halten wäre, ist aus praktischer Sicht ein sehr cleverer Zug. Der Chinese behält damit die Aktivität der Qualität, die er grundsätzlich ja noch in Vorteil ist.

Gukesh will nun natürlich seinen Trumpf ausspielen, den b-Bauern, der vom schwarzfeldrigen Läufer seines Gegners auf b3 nicht angegriffen werden kann. Ein sehr guter Zug, der gleichzeitig auch den Turm des Weltmeisters befragt.

Ding Liren sieht scheinbar nichts Kraftvolleres und entscheidet sich deshalb dafür, den a-Bauern einzusammeln. Objektiv kippt die Bewertung der Stellung auf niedriger Rechentiefe damit aber. Alles scheint wieder ausgeglichen zu sein. Kurios.

Der Weltmeister hat den Zeitvorteil auf der Uhr und nutzt diesen nun auch, um einen grundlegenden Plan zu entwickeln. Schon zehn Minuten denkt er über seinen nächsten Schritt nach. Mit Dd8+, Kh7 und Dxa5 könnte er zwar den Bauern zurück gewinnen. Es sieht jedoch nicht so aus, als würde er damit den leichten Vorteil halten.

Ding Liren vertreibt die Dame mit Tc2 wieder, die auf e6 ein neues Feld findet. Der Chinese sieht nicht gerade glücklich darüber aus, dass die Partie weitergeht, obwohl er objektiv klar besser steht. Das wird noch eine ganz heiße Kiste!

Wahnsinn! Der junge Herausforderer beweist einmal mehr unglaublichen Kampfgeist und geht mit 41... Da2+ dem Remis aus dem Weg. Wow! Wir bekommen somit noch einen heißen Kampf geboten.

Dommaraju Gukesh hat nun die Entscheidungsgewalt. Seine Dame ist von c6 gestartet. Eine dreifache Stellungswiederholung liegt also erst dann vor, wenn er nun die Dame wieder nach g2 zieht, was für ihn auch die glasklar beste Option ist. Allerdings hat er natürlich keinen Zugriff auf die Bewertung gängiger Schach-Engines, sondern sieht nur seinen Mehrbauern. Womöglich lässt er sich dazu hinreißen, dem Remis abermals auszuweichen, womit er allerdings in einer schwächeren Position verbliebe. Richtig knifflige Entscheidung für den Herausforderer, der schon über fünf Minuten überlegt, wie er fortsetzen soll.

Gukesh wiederholt die Stellung und auch Ding Liren zieht die Dame erneut in die Brettmitte, verlässt daraufhin aber das Brett, um sich in den Ruhebereich zurückzuziehen. Nach wie vor ist die Tinte für das Remis nicht trocken.

Beide Spieler wiederholen jetzt die Stellung, um sich auch der Zeitkontrolle zu nähern. Die Frage lautet nur, ob der Weltmeister realisiert, dass er hier vermutlich auf Gewinn spielen könnte, oder ob er angesichts seiner zwischenzeitlich so schlechten Stellung mit dem Remis gut leben könnte. Ohnehin ist es jetzt aber an Gukesh D, den 40. Zug auszuführen, mit dem auch er dann eine halbe Stunde extra bekommt. Der Herausforderer ging bereits am Sonntag ein Risiko ein, um die Partie am Laufen zu halten.

Gukesh greift nun den Punkt h2 an mit Dg2, was Ding Liren jedoch direkt mit Df2 beantwortet.

Ding Liren will diesen Verstrickungen aus dem Weg gehen und setzt deshalb mit Kd2 fort.

Dommaraju Gukesh hat nur noch 5:15 Minuten auf der Uhr, findet nun aber den wichtigen Zug 36... Se5, mit dem er halbwegs im Spiel bleibt. Der Punkt dahinter ist, dass der Springer nun auf einem gedeckten Feld steht, sodass er Dd8+ und Dxa5 mit Dh1+ und Dxh2 beantworten kann.

Der Zug 36. Dd4 hingegen wirkt wie ein Schritt in die falsche Richtung. Der Titelverteidiger hätte vermutlich seinem vorherigen Zug folgen und mit Kd2 weiter fortsetzen müssen, um seinen großen Vorteil zu bewahren, der nun etwas zu schrumpfen droht.

Gukesh verschafft seinem König erst mit h6 ein Luftloch, um die Grundreihenproblematik aus der Stellung zu nehmen, und setzt dann mit b4 fort, als Ding Liren seinen König auf den Damenflügel überführt. Der Weltmeister spielt weiterhin in dieser Phase nicht nur sehr schnell, sondern auch richtig stark und steht objektiv klar besser, obwohl er nach wie vor einen Bauern weniger auf dem Brett hat.

Der anschließende Abtausch ist praktisch forciert. Beide Spieler haben ohnehin nicht mehr allzu viel Zeit und ziehen entsprechend schnell.

Ding Liren muss abermals nicht lange nachdenken und hat den Zug seines Gegners bereits vorausgeahnt, den er nicht etwa mit dem passiven Sf5, sondern dem erstaunlichen Zug 32. Sc6 beantwortet, der auch objektiv der stärkste und kraftvollste Zug zu sein scheint. Wow!

In einer höchst taktischen Stellung muss Gukesh erneut mehr als sieben Minuten investieren und zieht dann seinen Läufer aus der Schusslinie.

Gukesh D zieht seinen Turm auf die siebte Reihe, damit dieser bei etwaigen Springer-Abzügen von der Dame gedeckt wäre. Daraufhin zieht Ding Liren rasch seinen Springer nach d4. Der Weltmeister ist weiterhin sehr schnell unterwegs, hat allerdings auch nur noch 12:49 Minuten auf der Uhr.

Für den 18-Jährigen ist guter Rat nun teuer. Der Inder denkt schon über fünf Minuten lang nach und fällt damit auch unter 20 Minuten Restbedenkzeit.

Der Chinese spielt jetzt wieder richtig groß auf und findet mit 29. Df2 und 30. Le3 genau die beiden Züge, die das Spiel seines indischen Herausforderers gnadenlos bestrafen. Auf einmal ist es Gukesh D, der hier um das Remis kämpft. Beiden Spielern steckt augenscheinlich der gestrige Kampf in den Knochen. So viele unpräzise und fehlerhafte Züge in einer Partie gab es bislang bei der Schach-WM 2024 noch nicht.

Dommaraju Gukesh denkt über sieben Minuten lang nach, was Ding Liren die Möglichkeit eröffnet, noch einmal kurz den Ruhebereich aufzusuchen, um sich für die heiße Phase zu sammeln, die beiden Spielern nun zweifelsfrei bevorsteht. Der Chinese wirkt wiederdeutlich selbstsicherer, was seine Körpersprache anbelangt. Kann er auch sein. Nachdem er zwischenzeitlich zweifelsfrei deutlich schlechter stand, hat er trotz Minusbauer laut der Bewertung gängiger Schach-Engines auf einmal die deutlich bessere Stellung.

Ding Liren hat nur noch 13:27 Minuten, als er seine Dame nach e1 zieht, womit er direkt auch einen Blick auf den Punkt a5 wirft.

Nach weiteren sieben Minuten des Nachdenkens greift Gukesh mit 27... Lb3 nun die Dame des Chinesen an. Womöglich wäre sogar schon ein Vorstoß mit b4 möglich gewesen. Beide Spieler lassen im Moment die Präzision vermissen.

Ding Liren nutzt die Fesselung des Springers direkt aus, indem er seinen Turm auf die c-Linie zieht und den Angriff verstärkt.

Gukesh D zieht den Springer von der a-Linie dazwischen. Das wirkt wie der falsche Springer, da der andere Springer sich perspektivisch auch per Lh3 angreifen ließe, sodass bei entsprechenden Fesselungen sehr schnell schwerwiegende Verstrickungen für den jungen Inder entstehen könnten.

Der Herausforderer schaut drei Minuten in die Stellung und setzt dann mit dem sicherlich kritischen Versuch fort, indem er den a-Bauern vom Brett nimmt. Sofort zeigt Ding Liren seine Idee: 26. Ld4. Vermutlich muss Gukesh D nun einen Springer dazwischen ziehen, um den Mehrbauern auch wirklich zu halten.

Der 32-Jährige zögert jetzt mit nur noch 15:21 Minuten für 16 weitere Züge bis zur ersten Zeitkontrolle nicht lange und bietet mit Lb2 seinen a-Bauern an, der nun mit Lxa2 geschlagen werden könnte.

Die mit 22... b5 fast schon forcierte Variante kommt jetzt genau so aufs Brett. Der Weltmeister steht jetzt gehörig unter Druck und dürfte genau wie gestern unter Zeitdruck nun um das Remis kämpfen.

Mit nur noch knapp 17 Minuten auf der Uhr nimmt Ding Liren, der jetzt wirklich gehörig unter Druck steht, auf b5 raus. Db6+ wird unter Garantie gleich aufs Brett kommen.

Dommaraju Gukesh fackelt nicht lange und setzt direkt mit 22... b5 fort, um den schlechten Turm-Zug des Weltmeisters umgehend zu widerlegen.

Jetzt tauscht Ding Liren auf e8, setzt dann aber mit 22. Tb1 ebenfalls mit einer Ungenauigkeit fort, da der Zug nicht wirklich etwas für seine Stellung macht. Die Antwort b5 ist nämlich trotzdem möglich. Nach cxb5 kommt nämlich einfach das coole Db6+, wobei nach beispielsweise Kf1 und cxb5 auch noch der Bauer auf a2 hängt.

Anstatt mit 20... Lg6 weitere Fortschritte zu erzielen und Ding Liren vor Probleme zu stellen, zieht Gukesh D nach mehr als sieben Minuten des Nachdenkens nun den wenig ambitionierten Zug 20... Sd7. Abermals könnte der Chinese nun die Türme auf e8 tauschen, was alle Probleme des Weltmeisters fürs Erste lösen dürfte. Das muss mindestens als handfeste Ungenauigkeit, wenn nicht sogar als Fehler gewertet werden.

Ding Liren überlegt mehr als fünf Minuten, schüttelt zwischenzeitlich den Kopf und bietet mit Sf3 dann den Abtausch der Springer ein. Das lässt allerdings auch Lg6 zu. Rächt sich jetzt womöglich, dass der Chinese 19... Txe8+ verpasst hat?

Gukesh D setzt jetzt mit 59:37 Minuten Restbedenkzeit mit 19... Se5 fort. Damit macht er das Feld g6 auch für seinen weißfeldrigen Läufer frei, was vielleicht mal eine Idee sein könnte.

Dommaraju Gukesh überstürzt seine Entscheidungen weiterhin nicht und denkt zum wiederholten Mal schon mehr als zehn Minuten lang nach. In Kürze wird auch er unter die Ein-Stunden-Marke fallen.

Ding Liren wählt eine Alternative zu Txe8+ und zieht im 19. Zug dieses achten Spiels der Schach-WM 2024 erstmals einen seiner beiden Zentrumsbauern: 19. d3. Ein interessanter Zug. Allerdings hat der Weltmeister inzwischen nur noch 33:41 Minuten auf der Uhr und steuert auf eine ähnliche Zeitnotphase wie gestern zu. Sein Herausforderer hat noch mehr als doppelt so viel Zeit zur Verfügung.

18... Lf7 kommt bemerkenswert schnell vom jungen Inder. Ding Liren wiederum zögert zum wiederholten Mal und scheint über Alternativen zu Txe8+ nachzudenken.

Der 32-Jährige zieht erneut seinen Springer und greift nun den Läufer auf e6 an, der vermutlich nach f7 gehen will, woraufhin Ding Liren den Turm auf e8 tauschen könnte. Diese Sequenz würde einige Probleme des Titelverteidigers lösen.

Abermals könnte Gukesh konkretes Schach spielen und mit f5 oder Se5 Fragen stellen. Stattdessen entscheidet er sich für eine Mischung aus Abwartezug und nützlichem Entwicklungszug. Mit Dc7 komplettiert er seine Entwicklung, da nun nicht nur alle Figuren im Spiel sind, sondern auch die Türme verbunden sind.

Der 18-jährige Herausforderer hat zwar deutlich mehr Zeit auf der Uhr, überstürzt allerdings nichts und nimmt sich für diese durchaus komplizierte und ungewöhnliche Stellung die nötige Zeit. Erneut sind es über zehn Minuten des Nachdenkens.

Mit 42:40 Minuten auf der Uhr zieht Ding Liren nun seinen Springer nach c2. Nach wie vor hat sich weder sein d- noch sein e-Bauer bewegt, was in Verbindung mit dem Turm in der Mitte des Bretts schon eine sehr ungewöhnliche Stellung ist. Allerdings ist auch unklar, wie Gukesh D daraus Profit schlagen kann.

Der Titelverteidiger schaut erneut tief in die Stellung hinein, lässt seinen nächsten Zug schon seit mehr als 13 Minuten auf sich warten und fällt damit unter eine Dreiviertelstunde Restbedenkzeit. Ähnlich wie gestern könnte es wieder zu einer Zeitnotphase kommen.

Statt mit verpflichtenden Zügen wie f5 direkt den in der Mitte des Bretts irgendwie deplatziert wirkenden Turm des Weltmeisters anzugreifen, kümmert sich Gukesh D nach zehn Minuten des Nachdenkens um seine Entwicklung und bringt seinen zweiten Springer über a6 ins Spiel.

Gukesh D denkt nicht allzu lange nach und greift dann mit Sg6 den Turm auf f4 an, den der Weltmeister umgehend nach e4 stellt.

Mit 58:13 Minuten Restzeit auf der Uhr hat der Chinese nun seine Wahl getroffen. Ding Liren schlägt mit seinem b-Bauern auf c4 zurück.

Ding Liren denkt abermals lange nach und ist als erster von beiden Spielern bei weniger als einer Stunde Restbedenkzeit angelangt.

Der indische Herausforderer bringt nicht etwa seinen Springer mit Tempo ins Spiel, sondern öffnet die Stellung mit 14... dxc4 weiter. Es wird nach einer langen Phase des Lavierens zunehmend konkreter.

Ding Liren überlegt drei Minuten lang, setzt dann aber mit dem natürlichen Txf4 fort.

Der Herausforderer beißt an und nimmt nun auf f4 raus. Ding Liren sollte nun vermutlich mit dem Turm nehmen, woraufhin Gukesh D allerdings mit Sg6 seinen Springer mit Tempo ins Spiel bringen könnte.

Nach knapp zehn Minuten des Nachdenkens zündet Ding Liren mit 13. f4 nun das Brett an. Das ist ein sehr zweischneidiger Zug, der klar dagegen spricht, dass heute in ruhiger Stellung ein schnelles Remis gemacht wird. Stattdessen scheint der Weltmeister heute wohl ins Risiko gehen zu wollen. Spannend.

Auch Gukesh D investiert nun zehn Minuten, ehe er ebenfalls die Spannung aufrecht erhält und mit 12... Te8 erwidert.

Obwohl es möglich ist, die Spannung der Bauern zwischen c4 und d5 aufzulösen, indem geschlagen oder vorbeigezogen wird, will weiterhin kein Spieler der erste sein, der hier eine verbindliche Entscheidung trifft. Ding Liren strebt daher mit 12. Se1 die Umgruppierung seines Springers auf ein besseres Feld an, was auch seinen weißfeldrigen Läufer öffnet.

Sechs Minuten lang denkt der Herausforderer nach, ehe er seinen a-Bauern in Bewegung setzt. Damit will er vermutlich den Läufer auf a6 bestrafen, da nun auch a6 immer in der Luft liegt. Auch die Entwicklung des zweiten Springers über a6 ist nun etwas angenehmer.

Vielleicht auch, um wirklich auf Nummer sicher zu gehen, dass Dommaraju Gukesh definitiv aus seiner Vorbereitung draußen ist, setzt Ding Liren nun auch noch mit 11. Tc1 fort, was ganz sicher nicht der Hauptzug in dieser Stellung ist, in der vermutlich d3, e3 oder gar d4 kommen sollte. Das dürfte das bislang so schnelle Spiel des Inders vermutlich endgültig verlangsamen.

Dommaraju Gukesh muss erstmals selbst überlegen, investiert allerdings nur zwei Minuten, ehe er mit der kurzen Rochade die Entwicklung vorantreibt. Ein aus praktischer Sicht ebenfalls sehr richtiger und wichtiger Zug.

Ding Liren kann sich einfach nicht erlauben, dem jungen Inder dabei zuzusehen, wie dieser einen Zug nach dem nächsten aus seiner Vorbereitung heraus aufs Brett bringt. Mit 10. La3 spielt er deshalb einen Zug, den Gukesh D ganz sicher nicht auf dem Brett haben dürfte, da er hiermit nach dxc4 bxc4 und Lxd4 ein Bauernopfer anbietet, das sich Schwarz mit Entwicklungsnachteil und König in der Mitte aber beim besten Willen nicht erlauben kann. Aus praktischer Sicht dürfte das eine richtig bärenstarke Entscheidung des Titelverteidigers sein.

Obwohl Ding Liren, der erneut gute fünf Minuten investiert und bei 91 Minuten Restbedenkzeit angelangt ist, mit 9. b3 keinen der Hauptzüge ausführt, hat der blendend vorbereitete Gukesh D scheinbar auch diesen Zug analysiert und erwidert umgehend 9... d5, womit er das Zentrum attackiert. Es bleibt extrem ungemütlich für den 32-jährigen Chinesen.

Ding Liren entscheidet sich jetzt für die logische Fortsetzung und rochiert kurz, woraufhin Gukesh abermals wie aus der Pistole geschossen antwortet: 8... Le6. Abermals liegt der Ball damit beim Weltmeister.

Der Chinese schaut schon über zehn Minuten in die Stellung, die er mit 1. c4 in dieser Form garantiert nicht erwartet hat, und hat schon mehr als eine Viertelstunde verloren. Problematisch ist sicher, dass sein Gegner die normalen Züge wie 8. O-O oder 8. Dc2 ebenso vorbereitet haben dürfte wie 8. d3 oder womöglich sogar 8. b4. Ding Liren muss also gleichzeitig auch überlegen, wie er sich ganz prinzipiell aufstellen möchte und wo er vielleicht wie gestern einen eher ungewöhnlichen Zug einstreuen kann, mit dem er den Stellungstypen grundlegend verändert. Keine leichte Situation. Es ist sicherlich nicht ausgeschlossen, dass der Titelverteidiger nun direkt eine halbe Stunde in seine Überlegungen investieren muss.

Ding Liren überlegt zweieinhalb Minuten, nimmt dann aber den Läufer vom Brett. Nach dem natürlichen Entwicklungszug 7. Lg2 antwortet Gukesh D dann mit dem seltenen Zug 7... f6. Damit folgen beide Spieler einem Spiel zwischen Datuali Sinsuat und Denis Nikolaev aus dem Jahr 2023 und erreichen eine bislang sehr selten gespielte Stellung. Entsprechend gut ist die Eröffnung für den Inder gelaufen, in dessen Vorbereitung wir uns offenkundig befinden. Für den Weltmeister, der genau wie gestern früh aus seiner Eröffnungstheorie draußen ist, ist das entsprechend suboptimal.

Ding Liren lässt sich für 4. Sf3 ein wenig Zeit, woraufhin die Züge wieder schnell aufs Brett kommen, was auch daran liegt, dass Dommaraju Gukesh bislang noch gar nicht gezögert hat und stets nach dem Aufschreiben des Zugs seines Gegners selbst gezogen hat. Nach dem Entwicklungszug 5. g3 will der 18-Jährige mit 5... c6 nun den Abtausch des zentralisierten Springers mit dem schwarzfeldrigen Läufer erzwingen. Ein Rückzug des angegriffenen Springers scheint schon einem Zugeständnis gleichzukommen, weshalb der kritische Versuch der Schlagzug sein muss, den Ding Liren aber ebenfalls nicht sofort ausführt.

Für Gukesh D scheint Englisch keine Überraschung zu sein. Der Inder zieht sehr schnell und geht mit 2... Lb4 in eine nicht allzu häufig gesehene Nebenvariante. Ist dieser Zug im Nimzoindisch oder auch in der Ragosin-Variante des abgelehnten Damengambits noch ein absoluter Standardzug, liegt hier im Englischen, wo der d-Bauer noch nicht gezogen hat, keine Fesselung vor, weshalb der Springer erneut ziehen und nach d5 kommen kann. Ding Liren erwidert diesen Zug auch rasch, woraufhin der 18-Jährige den angegriffenen Läufer nach e7 zieht.

Ding Liren eröffnet in seiner vierten Weiß-Partie mit dem vierten Zug. Heute ist es 1. c4 - die Englische Partie.

Im achten von bis zu 14 Spielen bei der Schach-WM 2024 führt heute Ding Liren wieder die weißen Figuren. Bislang zog der Weltmeister drei unterschiedliche Eröffnungszüge: 1. e4, 1. Sf3 und 1.d4. Mit Blick darauf, dass auch 1. c4 zu seinen Hauptwaffen gehört, könnten wir heute womöglich einen vierten Zug sehen. Aber auch eine Wiederholung einer der bisherigen Varianten ist möglich. Spannend ist dabei auch die Frage, inwieweit der Chinese es nach dem harten Kampf gestern auf eine scharfe Stellung ankommen lässt, oder ob er womöglich ein ruhiges und eher kurzes Match forciert.

Zwar muss Weltmeister Ding Liren sich durchaus den Vorwurf gefallen lassen, bereits drei Mal bei der Schach-WM 2024 in einer leicht vorteilhaften Stellung zu früh und vor allem auch zu bereitwillig ins Remis abgewickelt zu haben. Als er jedoch an den letzten beiden Spieltagen zum Weiterspielen gezwungen war, glänzte der 32-jährige Chinese und war so schwer zu schlagen wie in seinen besten Zeiten. Von August 2017 bis November 2018 blieb er einst in 100 aufeinanderfolgenden Spielen im klassischen Schach unbesiegt. Obwohl die Stellung gestern in mehreren Momenten objektiv verloren war, fand der Titelverteidiger immer wieder Ressourcen, kreierte Gegenspiel und stellte Fragen, sodass er den halben Punkt rettete. Das dürfte für Auftrieb sorgen.

Dommaraju Gukesh könnte nicht nur zum jüngsten Weltmeister aller Zeiten werden, er ist schon jetzt der jüngste Herausforderer, den es jemals gab. Obwohl sein Spiel bereits extrem reif ist, konnte der 18-Jährige im Auftaktspiel seine Nervosität nicht verbergen und geriet direkt in Rückstand, ehe er den WM-Kampf im dritten Match ausgleichen konnte. Zur Initialzündung wurde das allerdings nicht. Obwohl gestern im siebten Match alles dafür angerichtet war, dass er erstmals die Führung übernimmt, kam er trotz klarer Gewinnstellung nicht über das Remis hinaus. Ob und inwieweit ihm das mental geschadet hat, könnten wir heute zu sehen bekommen.

Guten Tag und herzlich willkommen aus Singapur, wo heute die zweite Hälfte der Schach-WM 2024 zwischen Weltmeister Ding Liren und Herausforderer Dommaraju Gukesh startet. Nach sieben von bis zu 14 Partien steht es 3,5 zu 3,5 Das Brett wird voraussichtlich um 10:00 Uhr freigegeben und Weltmeister Ding Liren führt heute die weißen Figuren.