Nach fast exakt fünf Stunden Spielzeit endet das erste Match der Schach-WM 2023 remis. Jan Nepomnjaschtschi überraschte seinen Gegner früh mit der verzögerten Abtauschvariante in der Spanischen Partie, auf die Ding Liren, der früh viel Bedenkzeit verbrauchte, offensichtlich nicht vorbereitet war. Der Chinese traf jedoch einige praktisch sehr gute Entscheidungen und brachte die Partie schnell auf völlig fremde Pfade, sodass auch der Russe aus der Vorbereitung gerissen wurde. Nepomnjaschtschi kam in einer taktischen Stellung zwar leicht in Vorteil, konnte etwaige Chancen allerdings nicht nutzen, weil Liren sich trotz Zeitnot optimal verteidigte und dem Zug für Zug aufgebauten Druck stand hielt. Für den 30-jährigen Chinesen ist es damit ein sehr erfreulicher Auftakt, während Nepo durchaus damit hadern könnte, den leichten Vorteil, den er sich erarbeitete, relativ leichtfertig wieder abgegeben zu haben. Morgen geht es um 11:00 Uhr dann mit dem zweiten Spiel weiter, in dem Ding Liren erstmals die weißen Steine führt.

Anstatt dem Chinesen die Möglichkeit zu geben, den Springer erneut nach d3 zu stellen und über dreifache Stellungswiederholung ins Remis zu gehen, bietet Nepomnjaschtschi seinem Gegner nun direkt das Remis an, als dieser ans Brett zurückkehrt. Liren nimmt an und beide Spieler schütteln sich die Hand. Das Auftaktmatch der Schach-WM 2023 endet damit mit einem Unentschieden.

Ding Liren zögert, mit f5 die Stellung zu schließen, und zieht erneut seinen Springer. Das ist auch ein ganz leises Angebot an den Russen, nun in irgendeiner Form die Züge zu wiederholen, um ins Remis abzuwickeln.

Nepomnjaschtschi hat es weiterhin nicht allzu eilig und zieht 48. g3. Direkt nach dem ausgeführten Zug lässt er seinen Blick durch den Raum schweifen, als suche er nach dem abermals im Ruheraum befindlichen Liren, um ihm das Remis anzubieten. Vom Chinesen, der gleich wieder unter die Marke von 30 Minuten Restzeit rutscht, ist jedoch nichts zu sehen.

Der Chinese bringt seinen Springer zurück in die Partie. Das würde es dem Russen nun zwar erlauben, mit Ke4 in die gegnerische Stellung einzudringen. Allerdings hat auch Ding Liren mit seinem Springer gewisse Ideen, um die Bauern am Königsflügel anzugreifen, wenn Jan Nepomnjaschtschi zu aggressiv vorgeht.

Ding Liren holt sich den temporär gegebenen Bauern nun auf b2 zurück, woraufhin Jan Nepomnjaschtschi seinen König zum Laufen bringt. Das könnte der Chinese nun mit f5 stoppen.

Nach fast 14 Minuten Auszeit spielt Ding Liren nun den logischen Zug 43... Sd3, woraufhin die logischen Züge recht schnell Schlag auf Schlag kommen. Lediglich das Remis-Angebot will keiner der beiden Spieler bislang aussprechen.

Der Chinese hat den letzten Zug seines Gegners aus dem Ruheraum heraus verfolgt und macht gerade keinerlei Anstalten, wieder nach vorne zu kommen. Bereits sechs Minuten Zeit sind inzwischen verstrichen. Auch Nepomnjaschtschi zieht sich daraufhin in seinen privaten Bereich zurück und isst eine Kleinigkeit.

Nepo greift jetzt den Springer von Liren mit 43. Lb4 an. Das droht zwar, temporär den Bauern auf c6 zu gewinnen, würde aber weitere Spannung aus dem ohnehin schon abgeflachten Spiel nehmen. Beispielsweise nach: 43. Sd3 44. e6+ Lxe6 45. Sxc6 Ld7 46. Sd4 Sxb2.

Ding Liren strahlt nach der überstandenen Zeitnotphase jetzt richtig viel Selbstvertrauen aus, was sich auch darin widerspiegelt, wie schnell er mit Kf7 den objektiv besten Zug findet. Das Remis scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Der Russe, der bereits schon früher im Spiel den a-Bauern hätte gewinnen können, schlägt die zweite Einladung dazu nicht mehr aus, sondern greift jetzt zu. Allerdings geht es auch mit dem gewonnenen Bauern nicht wirklich weiter für den 32-Jährigen.

Der Chinese deckt nicht etwa den a-Bauern, sondern setzt auf Initiative und dringt mit Sc5 ebenfalls in die gegnerische Stellung ein. Das stellt sicher, dass ein Vorstoß des Russen mit e6 unterbunden ist.

Nepomnjaschtschi nimmt sich neun Minuten Zeit, um tief in die Stellung zu schauen, und setzt jetzt mit 41. Lc7 fort. Objektiv steuert das erste Spiel der Schach-WM 2023 klar auf ein Remis zu, sofern keiner der beiden Spieler sich noch einen Patzer leistet. Bleibt die Frage, wie lange der Russe es noch probieren will.

Die Spieler haben es durch die Zeitnotphase hindurch geschafft und bekommen jeweils 60 weitere Minuten gutgeschrieben. Allerdings ist die Stellung auch merklich abgekühlt. Ding Liren trotzt dem Druck und hält seine Figuren auf Remis-Kurs. Im Moment ist nicht zu sehen, wie Jan Nepomnjaschtschi Fortschritte erzielen will. Andererseits hat der Russe jetzt 62 Minuten auf seinem Konto und kann in aller Ruhe noch einmal kalkulieren. Ab jetzt ist es übrigens auch offiziell gestattet, dem Gegner ein Remis anzubieten.

Den Bauern auf e5 zu schlagen, erscheint Liren angesichts der Zeitnot zu riskant. Er geht der Entscheidung mit Kg8 aus dem Weg.

Beide Spieler sind jetzt in Zeitnot, weshalb die Züge wieder schneller kommen. Mit 39. e5 stellt der Russe seinem Gegner eine weitere Frage.

Nepomnjaschtschi realisiert, dass es keinen wirklichen Weg mehr gibt, dem Damentausch auszuweichen. Er schlägt deshalb auf d8, woraufhin Liren umgehend ebenfalls die gegnerische Dame vom Brett nimmt.

Ding Liren erneuert sein Angebot, die Damen zu tauschen. Drei Minuten und 14 Sekunden hat er noch auf der Uhr.

So ist es. Nepomnjaschtschi geht dem Damentausch ein weiteres Mal aus dem Weg, was es für den Chinesen, der inzwischen bei unter fünf Minuten angelangt ist, abermals erschwert, die Übersicht über die Stellung zu behalten.

Abermals bietet Ding Liren den Damentausch an. Weicht der Russe, der inzwischen ebenfalls bei weniger als zehn Minuten angekommen ist, erneut aus?

Ding Liren bewegt den angegriffenen Läufer, woraufhin Nepo das Feld f5 mit seinem Springer einnimmt.

Wow! Nepomnjaschtschi geht dem Damentausch tatsächlich mit 34. Db7 aus dem Weg. Damit bleibt der Druck weiterhin erhalten.

Die Antwort des Chinesen lässt nicht lange auf sich warten. Mit Dd8 bietet er erneut den Damentausch an, dem Nepomnjaschtschi nicht so recht aus dem Weg gehen kann.

Positionell oder konkret - das lautet die Frage, die Nepomnjaschtschi beantworten muss. Er wählt den positionellen Weg und spielt vor dem etwaigen Vorstoß f5 zunächst h4, um Liren den potenziellen Gegenangriff h4 zu nehmen.

Jetzt ist für Ding Liren der Zeitpunkt gekommen, den hängenden Bauern auf c5 zu decken, indem er ihn nach c4 zieht. Sechs Minuten und 23 Sekunden bleiben dem Chinesen noch.

Der Russe bäckt zunächst kleine Brötchen und kontrolliert mit 32. c3 das Feld d4, das dem gegnerischen Springer jetzt nicht mehr zur Verfügung steht.

Trotz seiner Zeitnot steckt Ding Liren auch in dieser Stellung über dreieinhalb Minuten in seine Bedenkzeit und antwortet dann mit h5. Das bietet dem Russen nun allerdings auch die Möglichkeit, dem Zug f4 den logischen Zug f5 folgen zu lassen und den gegnerischen Springer zu befragen.

Jan Nepomnjaschtschi spielt mit 19:41 Restzeit auf der Uhr nun mit 31. f4 einen Zug, der seinen kleinen Vorteil ein Stück weit aus der Hand gibt. Mit Sd4 könnte Ding Liren sich jetzt konsolidieren. Allerdings tickt weiterhin die Schachuhr erbarmungslos runter.

30... Se6 lautet die abermals schnelle Antwort von Ding Liren, der jetzt bei exakt elf Minuten Restzeit angelangt ist. Der Weltranglistendritte arbeitet ebenfalls daran, seine Figuren neu zu koordinieren und deckt damit auch den Bauern auf c5.

Nach insgesamt sieben Minuten bringt Jan Nepomnjaschtschi seinen Springer nun über g3 zurück in die Partie. So ganz ist die Idee dahinter allerdings noch nicht zu sehen. Auf f5 sieht der Springer perspektivisch zwar gut aus, droht aber nicht direkt etwas.

Obwohl Dd7 ein sehr forcierter Zug war, muss Jan Nepomnjaschtschi jetzt erneut lange nachdenken. Es bleibt recht zweischneidig. Bedient der Russe sich jetzt am Bauern auf c5, kann die Dame des Chinesen auf d2 in die weiße Stellung eindringen, was die Partie perspektivisch wohl wieder in Remis-lastige Fahrwasser bringen würde, da auch Nepo wieder verstärkt auf Gegenspiel achten müsste.

Nach 14-minütiger Bedenkzeit geht Jan Nepomnjaschtschi jetzt nicht direkt auf den Bauerngewinn, sondern bedroht mit 29. Ld6 die gegnerische Dame, die Ding Liren binnen weniger Sekunden nach d7 zieht.

Dass Nepomnjaschtschi jetzt am Drücker ist, ist klar. Mit Lc7 könnte er sich im nächsten Zug mit Lxa5 einen gegnerischen Randbauern abholen. Gerade mit den ungleichfarbigen Läufern auf dem Brett ist das aber noch lange keine Gewinnstellung. Genau deshalb schaut der Russe jetzt tief hinein. Seine Bedenkzeit gibt das an dieser kritischen Stelle auch her. Trotz bereits sieben Minuten steht der Gewinner des Kandidatenturniers noch immer bei 36 Minuten.

Ding Liren kann es sich nicht mehr leisten, allzu lange zu überlegen, geschweige denn erneut das Brett zu verlassen. Er geht mit 28... Kh7 sofort aus der Fesselung heraus.

Jan Nepomnjaschtschi dringt mit 28. Db8 jetzt in die gegnerische Stellung ein und fesselt den Springer auf d8.

Der Chinese ist nach weiteren fünf Minuten Bedenkzeit bei 13 Minuten und 33 Sekunden angekommen, in denen er 13 weitere Züge ausführen muss, wenn er die Partie nicht auf Zeit verlieren will. Seine Entscheidung fällt auf 27... b5.

Jetzt kommt Würze in die Partie. Der Russe tauscht die Türme auf d8 und droht nun, mit dem stillen Zug 27. Df4 in die gegnerische Stellung einzudringen. Der Chinese kann sich definitiv nicht mehr wohl fühlen in diesem Auftaktspiel.

Ding Liren ist jetzt bei unter 20 Minuten angekommen, was den psychologischen Druck erhöht. Mit 18 Minuten und 43 Sekunden auf der Uhr zieht er nun 25... c6. 15 Züge muss er nun innerhalb dieser Zeit aufs Brett bringen, um das erste Inkrement in Höhe von einer Stunde zu erhalten. Sein Kontrahent hingegen hat noch fast 50 Minuten zur Verfügung und ist zweifelsfrei in der deutlich komfortableren Situation.

Ding Liren denkt erneut seit über sechs Minuten nach. Die Zeit erreicht in Bälde einen bedenklichen Bereich. Objektiv betrachtet ist die Stellung zwar weiterhin ausgeglichen. Jan Nepomnjaschtschi hat jedoch die einfacheren Pläne, während der Chinese die schwierigeren Entscheidungen treffen muss.

Nepo schaut nicht allzu lange rein und übt mit dem verlockenden Damenzug nicht nur zusätzlichen Druck auf der d-Linie aus, sondern auch Druck auf der Uhr, die nun erneut gegen den Chinesen läuft.

Nach achtminütigen Überlegungen, durch die der Chinese inzwischen weniger als eine halbe Stunde auf der Uhr hat, zieht Ding Liren 24... c5. Er nimmt damit nicht den nächsten Turm vom Brett, sondern hält die Spannung. Mit Dd2 könnte Jan Nepomnjaschtschi nun allerdings den Druck erhöhen.

Ding Liren hat seine Entscheidung getroffen und nimmt die ersten beiden Türme vom Brett. Dem Angebot, auf d8 auch den zweiten Turm abzutauschen, geht nun allerdings Jan Nepomnjaschtschi aus dem Weg, indem er 24. Td3 zieht. Der Chinese könnte wiederum seinerseits auf d3 tauschen und die Stellung weiter vereinfachen.

Erwartungsgemäß investiert Ding Liren jetzt einiges an Zeit in die Stellung. Seine restliche Bedenkzeit sinkt damit auf unter 40 Minuten. Entsprechend denkbar ist es, dass dieses Auftaktspiel der Schach-WM 2023 direkt eine erste Zeitnotphase bringen wird. Inkrement gibt es erst ab Zug 61, während auch eine weitere Stunde Bedenkzeit erst nach dem 40. gespielten Zug gutgeschrieben wird. Eine Idee wäre es vielleicht, mit c5 den eigenen Springer auf dem Brett zu halten, da nach Sf4 dann die Antwort Sd4 möglich wäre.

Jan Nepomnjaschtschi strebt jetzt mit dem sehr interessanten Zug 22. Se2 an, die Springer miteinander zu tauschen. Auf diese Weise würde der Punkt c7, den der Springer auf e6 momentan noch überdeckt, anfälliger werden, was dem Russen perspektivisch Chancen eröffnen würde. Ding Liren muss nun die weitreichende Entscheidung treffen, wie er hierauf reagieren möchte.

Ding Liren zögert weiterhin, Türme vom Brett zu nehmen, und legt mit 21... a5 nach vierminütiger Bedenkzeit den nächsten Abwartezug nach. Nach wie vor liegt viel Potenzial in der Stellung. Noch ist jedoch kein Spieler dazu bereit, aufs Gaspedal zu drücken.

Auch der Russe wartet zunächst noch weiter ab. Mit 21. a3 nimmt er unter anderem auch einen Vorstoß wie Db4 aus der Stellung.

Jan Nepomnjaschtschi überlegt bereits seit über fünf Minuten und ist damit soeben auch unter eine Stunde Restzeit gefallen. Erst nachdem der 40. Zug ausgeführt ist, gibt es eine weitere Bedenkzeit für beide Spieler. Der Russe muss sich folgerichtig überlegen, ob er in diesem Auftaktmatch noch einmal ins Risiko gehen möchte. Der Abwartezug seines Gegners ist jedenfalls ein erster Hinweis darauf, dass Ding Liren nichts dagegen hat. mit einem Remis in die Schach-WM 2023 zu starten.

Ding Liren denkt sieben Minuten lang nach und zieht einmal mehr nicht den offensichtlichsten Zug, indem er die Türme vom Brett verschwinden lässt, sondern macht mit 20... b6 Fortschritte am Damenflügel. Das ist ein Stück weit auch ein nützlicher Abwartezug.

Jan Nepomnjaschtschi komplettiert nun seine Entwicklung und bringt mit 20. Tad1 die letzte Figur ins Spiel, die noch nicht gezogen hat. Das bietet Ding Liren nun die Möglichkeit, den Turm zu tauschen, würde allerdings temporär auch die d-Linie aufgeben, die er mit dem Nachziehen des Turms, der noch auf f8 steht, jedoch sofort wieder attackieren könnte.

Jetzt hat der 30-Jährige seine Entscheidung getroffen. Ding Liren zieht nach einer Viertelstunde 19... Lf7 und setzt anstelle etwaiger offensiver Züge wie Db4 auf die positionelle Verbesserung seiner Figuren.

Ding Liren kehrt aus dem Ruheraum zurück, setzt seine Überlegungen nun allerdings direkt am Brett fort. 14 Minuten überlegt der Weltranglistendritte inzwischen bereits. Damit hat er nun über eine Stunde verbraucht. Zur Erinnerung: Ein sogenanntes Inkrement gibt es erst nach dem 60. Zug.

Beide Spieler haben im Moment übrigens fast exakt 50 Minuten ihrer Zeit verbraucht. Der Chinese steckt nun allerdings wohl erstmals wieder etwas mehr Zeit in die Stellung. Er zieht sich erneut auf seiner Couch im Ruheraum zurück und denkt dort über seine nächsten Schritte nach. Viereinhalb Minuten sitzt er schon regungslos an seinem Platz.

Der Russe verbessert in aller Ruhe seine Königsstellung Mit 19. Kh2. Es ist der dritte eher ruhige und positionelle Zug in Serie.

Ding Liren spielt erneut schnell und spiegelt seinen Gegner jetzt mit 18... h6 ein Stück weit. Sieht fast so aus, als würde die Partie ein wenig abflachen. Ein Remis dürfen beide Spieler vor dem 40. Zug jedoch nicht offen anbieten. Auch eine Zugwiederholung ist noch nicht zu sehen.

Der Russe hat es nicht eilig und baut sich mit 18. h3 am Königsflügel weiterhin sehr ruhig auf. Alle Bauern stehen dort nun auf den weißen Feldern, was sehr gut mit dem schwarzfeldrigen Läufer auf g3 harmoniert. Nepo kann das Match, das nach einer zwischenzeitlich sehr taktischen Stellung mittlerweile sehr positionell geworden ist, weitestgehend risikofrei weiterspielen.

Der 30-jährige Chinese zieht weiterhin sehr zügig und antwortet mit 17... f6. Das eröffnet seinem weißfeldrigen Läufer, der auf h5 seine Schuldigkeit getan hat, nun eine sehr stimmige Möglichkeit zur Umgruppierung.

Jan Nepomnjaschtschi denkt vier Minuten lang nach und verschließt mit 17. f3 nun tatsächlich die h5-d1-Diagonale.

Auch Ding Liren lässt sich jetzt wenig Zeit für den nächsten Zug und geht mit Lh5 sofort etwaigen Ideen wie dem Zug f3, der bei einem anderen Zug wohl ziemlich sicher mit Tempo gekommen wäre, aus dem Weg. Durch den gegnerischen Läufer auf g3 ist überdies kein g4 mehr möglich. Entsprechend gut kann der Läufer nun auf den wichtigen Punkt d1 strahlen, wodurch der Russe seinen zweiten Turm noch nicht sinnvoll ins Spiel bringen kann. Folgerichtig muss Nepo nun die Entscheidung treffen, ob er vielleicht trotzdem f3 spielen möchte.

Nepomnjaschtschi hat sich auch den nächsten Zug offenkundig schon überlegt, den er schnell ausführt. Er zieht seinen angegriffenen, schwarzfeldrigen Läufer nach g3 zurück.

Der Russe entscheidet sich mit Sxe7! für den Abtausch. Liren nimmt umgehend mehr oder minder forciert mit der Dame zurück.

Ding Liren geht dem eigentlich sehr offensichtlichen Abtausch auf f5 aus dem Weg und zieht stattdessen 14... Se6. Das erlaubt dem Russen jetzt, den schwarzfeldrigen Läufer seines Gegners vom Brett zu nehmen. Es sei denn, der 32-Jährige hat erneut etwas anderes im Sinn.

Der Russe verfolgt jedoch eine gänzlich andere Idee und evakuiert kurzerhand seinen doppelt angegriffenen Springer nach f5. Nun sollte es auf Lxf5 und exf5 hinauslaufen.

Jetzt ist es der Chinese, der ohne allzu viel Zeitverlust sofort mit 13... Tad8 antwortet. Greift Nepomnjaschtschi jetzt den weißfeldrigen Läufer seines Kontrahenten an? Eine mögliche Ressource für Liren könnte übrigens auch Tfe8 sein, um den schwarzfeldrigen Läufer bei der angesprochen Variante zu decken.

Nach 24-minütiger Bedenkzeit beginnt Nepomnjaschtschi nun mit 13. Sc3. Die eben geschilderte Idee wäre nach Tae8 mit dem anschließenden h3 immer noch in der Stellung.

Der Russe steckt jetzt richtig viel Zeit in die Stellung. Sollte es zu 13. h3 Tad8 kommen, gäbe mit 14. Sc3 übrigens eine brillante Idee. Sollte Ding Liren den Springer auf d4 mit der Dame schlagen, könnte Nepomnjaschtschi mit dem wunderschönen Zug Sd5 antworten. Nimmt der Chinese dann die gegnerische Dame, gäbe es den Zwischenzug Sxe7 mit Schach, was die Partie sofort entscheiden würde. Ding Liren müsste somit nach Sd5 mit Lf6 antworten, woraufhin nach Sxf6 gxf6 der weißfeldrige Läufer mit hxg4 geschlagen werden könnte. In anderen Worten: Die Idee, nach h3 in den Gegenangriff zu gehen und eine Batterie aufzubauen, würde vermutlich nicht funktionieren. Umso mehr drängt sich 13. h3 eigentlich auf, den der Russe im Moment wahrscheinlich in Hinblick auf etwaige versteckte Ressourcen von Ding Liren durchkalkulieren wird.

Für Jan Nepomnjaschtschi bietet es sich nun an, mit 13. h3 einerseits den weißfeldrigen Läufer zu befragen und sich andererseits schon einmal ein nützliches Luftloch zu schaffen. Allerdings könnte es dann auch sehr scharf werden. Den weißfeldrigen Läufer nach h5 zu ziehen, würde wohl g4 nach sich ziehen, während 13... Lf6 vermutlich wegen Sc3 schon ein ernsthafter Fehler wäre. Vermutlich müsste der Chinese somit nach 13. h3 einen Gegenangriff starten und Tad8 ziehen. Noch überlegt der Russe aber, ob er überhaupt den offensichtlichen h3-Zug spielen möchte.

Der Chinese kehrt auf die Bühne zurück und antwortet mit 12... Dd7 zum zweiten Mal in Folge tendenziell eher mit einem Nebenzug. Womöglich ein Versuch, den Russen endgültig aus der Vorbereitung zu bringen? Erneut stellt sich die spannende Frage, wie schnell Jan Nepomnjaschtschi hierauf zu antworten vermag.

Der Chinese vergräbt sich regelrecht im Ruheraum, hat sich eine Kapuze übergezogen und sitzt erneut mit den Händen in den Hosentaschen in einem Sessel. Das unterstreicht, wie entscheidend die aktuelle Stellung ist. Züge wie 12... Se6 bieten sich an, um den starken Zentrumsspringer von Nepo anzugreifen und gegebenenfalls abzutauschen.

Jan Nepomnjaschtschi muss zwar etwas nachdenken, braucht aber keine vier Minuten, um sich an seine Fortsetzung zu erinnern. Mit 12. Sd4 geht er einem weiteren Figurenabtausch aus dem Weg, der beispielsweise nach 12. h3 Lxf3 13. Dxf3 entstanden wäre.

Ding Liren hat seine Entscheidung nach weiteren knapp acht Minuten Bedenkzeit getroffen und zieht mit 11... Lg4 die erste Neuerung der Schach-WM 2023. Die Stellung, die wir jetzt auf dem Brett haben, ist damit seit diesem Zug einzigartig. Ob das nun auch den bislang sehr sicheren Russen aus der Vorbereitung zu bringen vermag? Bislang verbrauchte Jan Nepomnjaschtschi weniger als drei Minuten insgesamt.

Ding Liren hat den abgelehnten Damentausch regungslos im Ruheraum zur Kenntnis genommen, in dem er mit den Händen in den Hosentaschen in einem Sessel kauert. Beide Spieler folgen übrigens immer noch bekannten Pfaden. Schon unzählige Male hat es diese Stellung auf höherem Niveau gegeben. Von Alexander Ivanov über Ildar Khairullin bis hin zu Jozsef Pinter setzten die prominenten Vorgänger mit den schwarzen Steinen an dieser Stelle übrigens mit 11... Se6 fort und griffen damit den schwarzfeldrigen Läufer des Weiß-Spielers an.

Jan Nepomnjaschtschi lässt sich nicht auf den Damentausch ein und geht mit 11. De3 aus dem Weg. Abermals muss Ding Liren nachdenken, der inzwischen schon über 20 Minuten seiner zwei Stunden, die er für die ersten 40 Züge Zeit hat, verbraucht hat.

Ding Liren zieht seinen Springer nach c5, schafft damit Platz für seinen weißfeldrigen Läufer, der auf der Grundreihe eingesperrt war, und bietet seinem Gegner den Damentausch an. Interessanter Moment.

Ding Liren entscheidet sich dafür, im Zentrum zu schlagen. Auf 8... exd4 erwidert Jan Nepomnjaschtschi umgehend mit dem logischen 9. Dxd4, woraufhin der Chinese erst einmal seinen König in Sicherheit bringt. Auch auf die kurze Rochade hat der Russe die direkte Antwort: 10. Lf4 zwingt den Chinesen erneut zum Nachdenken.

Nach circa zehn Minuten entscheidet sich Ding Liren für 7... Sd7, woraufhin der Russe sofort das Zentrum mit 8. d4 attackiert. Jan Nepomnjaschtschi hat insgesamt noch nicht einmal zwei Minuten verbraucht und scheint noch voll in seiner Vorbereitung zu sein.

Ding Liren schlägt die Figur mit seinem d-Bauer zurück, woraufhin Jan Nepomnjaschtschi rasch mit 7. Te1 antwortet. Der Chinese ist sichtlich überrascht von dieser Eröffnungswahl und muss erstmals einiges an Zeit verbrauchen. Als logische Fortsetzung bietet sich ein Zug wie 7... Lg4 an, nach dem es allerdings direkt im ersten Spiel sehr scharf werden könnte. Vielversprechender Auftakt!

Da ist die erste Überraschung der Partie: Nepomnjaschtschi geht mit 6. Lxe6 in die verzögerte Abtauschvariante der Spanischen Partie, die nicht allzu oft auf dem allerhöchsten Niveau gespielt wird. Unter anderem spielte Carlsen diesen Zug gegen Liren bereits im Jahr 2019. Am Ende siegte der Chinese.

Bislang keine Überraschungen. Es kommt die Spanische Partie aufs Brett. Beide Spieler folgen der absolute Hauptvariante.

Der erste Zug der Schach-WM 2023 ist auf dem Brett und Nepomnjaschtschi eröffnet erwartungsgemäß mit 1. e4.

Die Auslosung hat ergeben, dass Ian Nepomnjaschtschi die Schach-WM 2023 am heutigen Sonntag mit den weißen Figuren eröffnen wird. Ab 11:00 Uhr ist mit dem ersten Zug in Astana zu rechnen. Dann werden wir auch hier im Liveticker verfolgen können, was der Russe mit seinen Sekundanten für den WM-Kampf vorbereitet hat. Als versierter e4-Spieler versuchte Nepomnjaschtschi sein Glück vor zwei Jahren im Duell mit Magnus Carlsen mit der Spanischen Partie.

Insgesamt 13 Partien haben im klassischen Schach zwischen Nepomnjaschtschi und Liren bis dato stattgefunden. Die Bilanz spricht bei acht Remis dabei knapp für den Russen, der drei Spiele gewinnen konnte (zwei Niederlagen). Mit Weiß blieb Ian Nepomnjaschtschi in sieben Spielen im klassischen Schach gegen Ding Liren gänzlich ungeschlagen (zwei Siege, fünf Remis).

Während Nepomnjaschtschi das Kandidatenturnier souverän mit 9½ von 14 möglichen Punkten gewann und damit sicher als Herausforderer für die Schach-WM qualifiziert war, rückte Ding Liren wiederum nur wegen des anschließend offiziell gemachten Rückzugs von Magnus Carlsen nach. Mit 8 von 14 möglichen Punkte überholte der Chinese in der allerletzten Runde den Amerikaner Hikaru Nakamura und beendete das Kandidatenturnier auf dem zweiten Platz.

Kurios ist der Umstand, dass Ding Liren gleich als doppelter Nachrücker am WM-Match teilnimmt. Der Chinese war ursprünglich nicht für das Kandidatenturnier qualifiziert, das letzten Juni in Madrid stattfand. Weil jedoch Sergei Karjakin von der FIDE für sechs Monate gesperrt wurde, rückte der in der Weltrangliste am höchsten platzierte Spieler nach, der jedoch in den zwölf Monaten zuvor mindestens 30 Turnierpartien absolviert haben musste. Weil Letzteres auf Ding Liren wegen der Corona-Pandemie nicht zutraf, setzte der chinesische Schachverband kurzerhand mehrere Turniere an, damit der 30-Jährige noch auf die fehlenden Spiele kam.

Der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen, der sich 2021 gegen Jan Nepomnjaschtschi deutlich behauptete, gab im Anschluss an das Kandidatenturnier 2022 bekannt, seinen Titel nicht verteidigen zu wollen. Dadurch steht jetzt schon fest, dass nach Ablauf des diesjährigen WM-Kampfs eine neue Schach-Ära anbrechen wird.

Guten Tag und herzlich willkommen aus Astana, Kasachstan, wo heute das erste Spiel der Schach-WM 2023 zwischen Jan Nepomnjaschtschi und Ding Liren auf dem Programm steht. Die Partie startet um 11:00 Uhr.

Eines ist schon vor dem Beginn der Schach-WM 2023 sicher: Es wird auf jeden Fall einen neuen Weltmeister geben. Der neue Champion wird vom 7. April bis zum 1. Mai in Astana, der Hauptstadt von Kasachstan, zwischen Ding Liren und Ian Nepomniachtchi ermittelt. Gesucht wird der Nachfolger von Magnus Carlsen, der freiwillig auf eine weitere Titelverteidigung verzichtet. Wir begleiten alle WM-Partien mit einem ausführlichen Live-Ticker.