Im fünften Spiel der Schach-WM 2023 gibt es bereits zum dritten Mal eine Entscheidung. Jan Nepomnjaschtschi gewinnt erstmals mit den weißen Figuren und geht dadurch mit 3,0 zu 2,0 in Führung. Der Russe eröffnete mit 1. e4, ging in die Spanische Partie und wählte dann mit 6. d3 die Martinez Variante. Elf Züge lang folgte das Spiel der Stellung, die im August 2022 zwischen Alireza Firouzja und Anish Giri auf dem Brett war, ehe Nepomnjaschtschi mit 12. Lg5 eine Neuerung vorstellte. Ding Liren brauchte zwar einiges an Zeit, fand aber alle Hauptzüge. Während der Russe für 22 Züge gerade einmal fünf Minuten und 35 Sekunden benötigte, hatte der Chinese zu diesem Zeitpunkt bereit 50 Minuten verbraucht, was auf der Uhr auch ein entscheidendes Ungleichgewicht brachte. In der entscheidenden Zeitnotphase leistete Ding Liren sich mit 37... hxg5 in ohnehin schon komplizierter Stellung den Patzer, nach dem seine Stellung nicht mehr zu verteidigen war. Ab dann war es eine Frage der Zeit. Nepomnjaschtschi ließ sich nicht beirren und verwertete klinisch. Morgen um 11:00 Uhr geht es dann mit der sechsten Partie weiter, die wir hier im Liveticker ebenfalls begleiten werden.

Ding Liren schaut schon seit über zwölf Minuten in die Stellung und sucht nach einer möglichen Rettung, die es aber nicht mehr gibt. Alle Ressourcen sind aufgebraucht, weshalb der chinesische Großmeister nun die Uhr deaktiviert und seinem Gegner die Hand reicht. Jan Nepomnjaschtschi gewinnt damit die Partie.

Der Computer zeigt bereits ein forciertes Matt in 24 Zügen an. Folgerichtig ist der Russe nun wohl endgültig über den Berg. Mit über einer halben Stunde auf der Uhr sucht Ding Liren jedoch nach weiteren Ressourcen, um den sichtlich angespannten Russen aus der Reserve zu locken. Es bräuchte jedoch schon einen dicken Patzer, damit sich Jan Nepomnjaschtschi diesen Sieg noch nehmen lässt.

Der Russe muss nahezu zehn Minuten lang in die Stellung schauen, überzeugt sich dann aber endgültig davon, dass der Angriff zu stark ist. Er geht mit seinem König nach g4, woraufhin Ding Liren sofort den b2-Bauern einsammelt. Jan Nepomnjaschtschi setzt daraufhin seinerseits rasch mit Th6 fort.

Jan Nepomnjaschtschi, der die Partie gewiss zwischenzeitlich schon als Sieg abgehakt haben dürfte, muss nach 46... Ta2 noch einmal sehr angestrengt nachdenken. Tatsächlich gibt die Stellung noch Raum für einen Patzer her, der in eine Remis-Stellung führen würde. Auf keinen Fall darf der Russe einen Zug wie 47. Sg5 oder 47. Sxc5 ausführen, was die Partie einzügig ins Remis überführen würde. Dass der 32-Jährige die ersten dieser Remis-Varianten schon entdeckt haben dürfte, macht es nicht gerade angenehmer, jetzt zu verwerten. Vor diesem Hintergrund ist es eine praktisch sehr gute Entscheidung von Ding Liren gewesen, in der objektiv verlorenen Partie zu verbleiben und es seinem Gegner so schwer wie irgend möglich zu machen.

Ding Liren spielt weiter und initiiert mit Ta2 noch einen kleinen Gegenangriff, der Jan Nepomnjaschtschi sichtlich nervt. Der Russe muss noch einmal inne halten und genau rechnen, ob er es sich leisten kann, diesen Versuch des chinesischen Großmeisters einfach völlig zu ignorieren, oder ob er sich ernsthaft darum kümmern muss. Sowohl der Vorstoß mit dem eigenen König über f4 als auch der stille Zug Th6 halten den immensen Vorteil allerdings.

Ding Liren weigert sich, aufzugeben, und hofft weiterhin auf ein Wunder. Mit dem f-Bauern des Russen und dem eigenen schwarzfeldrigen Läufer, der nach wie vor ausgesperrt ist, bleibt die Lage aber aussichtslos.

Ding Liren forciert mit 42... Da8 nun den Damentausch, den Jan Nepomnjaschtschi umgehend ausführt. Nach den forcierten Zügen spielt er ebenfalls direkt den Hebel 44. f6. Ob nun nach gxf6 der h-Bauer läuft oder ob nach g6 hxg6 und fxg6 der f-Bauer das Spiel gestützt durch Sg5 entscheidet, ist jetzt eigentlich relativ egal. Die Stellung ist nahezu trivial für Jan Nepomnjaschtschi gewonnen.

Nepomnjaschtschi spielt derweil nach sechseinhalb Minuten den sehr klinischen Zug 42. Kf3, mit dem er seinen Springer entfesselt.

Nachdem wir im dritten und vierten Spiel einen selbstbewussten Ding Liren erlebten, der sichtlich in Kasachstan sowie bei der Schach-WM angekommen war, zeichnen die aktuellen Bilder aus dem Ruheraum nun wieder das Bild des Chinesen vom ersten Spieltag. Ding Liren liegt in dem blauen Sessel, in dem er schon weite Strecken der ersten Partie verbrachte, und hat sich mit der Kapuzenjacke, die er bereits letzten Sonntag tief in sein Gesicht zog, zugedeckt. Die Frage lautet nur, weshalb der Chinese an seiner verlorenen Stellung festhält, anstatt aufzugeben und sich für die morgige Partie zu sammeln.

Ding Liren spielt weiter und gibt noch nicht auf. 41... De8 zögert die unvermeidbare Niederlage jedoch nur hinaus. In den meisten Varianten läuft es darauf hinaus, im entscheidenden Moment mit f6 anzuhebeln und den h-Bauern auf die Reise zu schicken, wofür im ersten Schritt womöglich ein Königszug stimmig wäre, um den Springer zu befreien, der in vielen Konstellationen auf f6 zurücknehmen könnte. Der Russe, der noch knapp 100 Minuten Zeit zur Verfügung hat, kann in aller Ruhe die genauste Zugreihenfolge berechnen.

Praktisch jeder erdenkliche schwarze Zug führt nun unweigerlich zur Niederlage binnen weniger Züge. Das sieht auch Ding Liren, der inzwischen wieder am Brett rechnet, jedoch schon über zehn Minuten lang keinerlei Rettung mehr findet. Um zu verdeutlichen, wie verloren die Stellung ist, sei an dieser Stelle die Computer-Empfehlung des bestmöglichen Zugs erwähnt: Die Engine würde mit 41... De5 42. Dxe5 dxe5 43. Sxc5 den Läufer opfern, um die Damen vom Brett zu nehmen. Selbst das wäre aber auf diesem Topniveau in keiner Weise mehr zu verteidigen. Gut möglich, dass Ding Liren daher nach weiteren Minuten des Nachdenkens direkt aufgibt. Jan Nepomnjaschtschi bleibt möglicherweise auch deshalb in der Nähe und tigert auf der Bühne im Hintergrund auf und ab.

Auch Jan Nepomnjaschtschi könnte sich nun eine kleine Auszeit gönnen, bleibt aber am Brett und zieht mit 41. Se4 den bereits angesprochenen Zug, der seinen Laden defensiv am Laufen hält, alle Drohungen pariert und folgerichtig fast schon forciert war. Auch nach Ausführung dieses Zugs macht der fokussierte Russe keine Anstalten, sich zurückzuziehen, während Ding Liren erst einmal im Ruheraum bleibt.

Mit drei Sekunden auf der Uhr gibt Ding Liren das Schachgebot auf e7. Damit bekommt er jetzt eine volle Stunde Bedenkzeit gutgeschrieben und verlässt fürs Erste die Bühne, um sich im Ruheraum kurz zu sammeln.

Nepo entscheidet sich sogar dafür, den König nach e2 zu stellen und damit das Schachgebot der schwarzen Dame auf e7 zuzulassen. Das sieht auf den ersten Blick gewagt aus, aber nach Se4 brennt auch hierbei nichts mehr in der weißen Stellung an.

Möglicherweise kommt genau diese Variante nun aufs Brett, denn Jan Nepomnjaschtschi bedient sich auf g5, woraufhin der chinesische Großmeister sofort das Schach auf a1 gibt. Damit fehlt Ding Liren immerhin nur noch ein Zug bis zur Zeitkontrolle. Die Stellung ist jedoch, wie eben gerade aufgezeigt, komplett verloren.

Hier eine Beispielvariante, mit der Jan Nepomnjaschtschi die Partie auch beim Damentausch beenden könnte: 39. Sxg5 Ta1+ 40. Kg2 Da8 41. Dxa8+ Txa8 42. f6 gxf6 43. Sh7+ Ke8 44. Te4+ Kd7 45. Sxf6+ Kc6 46. h6 Th8 47. h7. An dieser Stelle müsste der Chinese bereits seinen Turm opfern und könnte getrost aufgeben.

Ding Liren muss erneut über sieben Minuten lang rechnen und zieht 38... Ta8 nun mit lediglich einer Minute und 23 Sekunden Restzeit auf der Uhr. Die Idee dahinter ist, mit Ta1+ den gegnerischen König auf g2 zu locken und dann mit Da8 den Damentausch zu forcieren. Selbst dieses Endspiel wäre aber gut für den Russen, der einen sehr aktiven Springer gegenüber einem sehr passiven Läufer des Chinesen hätte.

Der Zug 38... f6 liegt für Ding Liren natürlich nahe. Dann jedoch könnte Jan Nepomnjaschtschi das Spiel mit einer sensationellen Taktik beenden und sich für das Springer-Opfer 39. Sh4 feiern lassen. Nach 39... gxh4 40. h6 g5 41. fxg6 wäre es bereits ein forciertes Matt in elf Zügen.

Jan Nepomnjaschtschi braucht herzlich wenig Zeit, um mit 38. Tg4 die Widerlegung von 37... hxg5 zu zeigen. Ein Matt ist zwar noch nicht in Sicht, aber auch Gegenspielideen sind weit und breit nicht am Horizont zu erkennen. Alles deutet jetzt auf einen erneuten Sieg des Russen hin, zumal auch die Zeit klar gegen Ding Liren arbeitet, der noch drei maximal präzise und zähe Züge aufs Brett bringen muss, ehe eine weitere Stunde auf sein Zeitkonto wandert.

Ding Liren hat keine Zeit mehr, lange zu überlegen, und leistet sich mit 37... hxg5 nun einen dicken Patzer. Nepo kann jetzt sein gewonnenes Tempo ausspielen und mit dem Turmschwenk Tg4 in eine Gewinnstellung kommen. Schwer vorstellbar, dass der Russe diese Chance auslässt. Stattdessen hätte Ding Liren sich mit einer Neupositionierung seiner Dame auf die weißen Felder verteidigen müssen. Beispielsweise wäre Dd7 deutlich zäher gewesen.

Jan Nepomnjaschtschi geht nach fast fünfminütiger Berechnung zum Angriff über und stößt mit g5 vor.

Ding Liren rutscht nun sogar unter die zehn Minuten und spielt mit neun Minuten und 56 Sekunden seinen Turm nach b8 zurück. Der Zug ist ein klares Zugeständnis, das dem Russen nun den nächsten Tempo-Zug erlaubt.

Jan Nepomnjaschtschi findet 36. Te4 und bestraft seinen Gegner auf diese Weise maximal für den Abwartezug. Die Zeit, die gegen den Chinesen arbeitet, tut ihr Übriges. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Ding Liren jetzt in ernsthaften Schwierigkeiten steckt.

Ding Liren muss schon wieder über fünf Minuten investieren und ist nun bei einer Restzeit von 14 Minuten und 39 Sekunden angekommen. Es wird kritisch für den Chinesen, der mit 35... Tc8 fast schon einen Verlegenheitszug spielt. Das gibt Jan Nepomnjaschtschi zwar nicht die Möglichkeit zu f6, da die Dame weiterhin die schwarzen Felder verteidigt, erlaubt es dem Russen aber, seine Pläne mit kleinen Schritten weiter fortzusetzen. Te4 wäre ein weiterer phantastischer Zug, um nun auch noch den Bauern auf g4 zu stützen.

Der Russe will offenkundig mit seinen Bauern weitere Fortschritte erzielen und den schwarzen König exponieren. Sollte Ding Liren aber mit einem Zug wie Dd7 kommen, um vielleicht sogar perspektivisch mit Db7 den Damentausch zu erzwingen, könnte Nepo nicht mit f6 antworten, weil dann der Bauer auf g4 mit Schach hängen würde. Folgerichtig geht der russische Großmeister in aller Seelenruhe mit 35. Kf1 genau diesem Schachgebot aus dem Weg. Nepo spielt groß auf in dieser heißen Phase der Partie.

Ding Liren muss weitere acht Minuten investieren, womit er bei einer Restzeit von 20 Minuten und 15 Sekunden ankommt. 34... Kf8 ist ein sehr provisorischer Verteidigungszug, der sich gegen etwaige Varianten richtet, bei denen der weiße Turm auf der Grundreihe ein Schach geben könnte. Mögliche Alternativen, die etwas besser bei der Computer-Bewertung der Stellung abgeschnitten hätten, wären 34... Dd7 und 34... Tc8 gewesen. Auch 34... Kf8 hält die Stellung fürs Erste aber noch zusammen. Das Problem ist nur, dass der Chinese nicht mehr über allzu viele Züge so lange nachdenken kann, während Jan Nepomnjaschtschi noch immer über eine Stunde Zeit hat.

Jan Nepomnjaschtschi investiert nicht übermäßig viel Zeit in seine Überlegungen und backt mit 34. Dd5 kleinere Brötchen.

Mit 33... Dd8 findet Ding Liren mit 28 Minuten und 32 Sekunden Restzeit auf der Uhr den potenziell besten Verteidigungszug. Es bleibt spannend, wie Jan Nepomnjaschtschi durchbrechen will.

Ding Liren muss nun erneut tief rechnen, um die ganzen Drohungen in der Stellung zu parieren. Objektiv betrachtet hat Jan Nepomnjaschtschi noch keine Gewinnstellung erreicht. Eindeutig muss aber der Chinese präziser spielen, um die Stellung zu halten. Während Nepo noch 66 Minuten und 14 Sekunden auf der Uhr hat, rutscht Ding Liren nun unter eine halbe Stunde. Aber: Nach dem 40. gespielten Zug gibt es eine volle Stunde on top.

Jan Nepomnjaschtschi kehrt aus dem Ruheraum zurück und bringt sofort 33. g4 aufs Brett. Der Unterschied zur eben vorgestellten Variante besteht darin, dass der Bauer auf b2 nach der Abwicklung nicht mehr hängt, weil der Turm auf e2 steht (Variante: 33... b4 34. cxb4 Lxb4 35. Dxc4 Lc5 36. Dd5 Txb2??). Würde der Chinese hingegen trotzdem mit dem Turm auf b2 nehmen, wäre nach 37. Te8 bereits ein Matt in 15 Zügen auf dem Brett. Auf einmal muss Ding Liren wieder höllisch aufpassen, weil Jan Nepomnjaschtschi in dieser Phase des Spiels brilliert.

Jan Nepomnjaschtschi investiert fast sechs Minuten und spielt dann mit 32. Te2 den Zug, den die Engine präferiert. Starker Moment des russischen Großmeisters, der erkennt, dass kein Grund zur Eile besteht und die g4-Idee nicht wegläuft. Ding Liren antwortet postwendend mit 32... Lc5 und stabilisiert seinen Läufer im Zentrum.

Sehr verlockend erscheint der Zug 32. g4, mit dem Jan Nepomnjaschtschi jedoch auch seinen eigenen König exponiert. Eine mögliche Variante, mit der Ding Liren anschließend vereinfachen könnte, wäre beispielsweise: 32... b4 33. Dxc4 bxc3 34. bxc3 d5 35. Dxd5 Dxc3. Das ist zwar immer noch ein ganz leichter Vorteil für den Russen, allerdings noch keine Gewinnstellung. Nepo muss dementsprechend überlegen, ob er diese Stellung möchte.

Während Jan Nepomnjaschtschi nicht allzu lange zögert, die e-Linie mit der Dame zu besetzen, antwortet auch Ding Liren rasch mit der Antwort, die er sich daraufhin zurechtgelegt hat: 31... Tb8. Die Stellung des russischen Großmeisters ist gewiss deutlich angenehmer. Allerdings ist es auch keineswegs trivial, wie Nepo weitere Fortschritte erzielen kann. In dieser Stellung kann sein chinesischer Kontrahent zunächst abwarten.

Ding Liren entscheidet sich für die etwas gewagtere Version und nimmt zwei Springer vom Brett. Daraufhin geht er aber nicht cool mit der angegriffenen Dame nach d7, sondern zieht auf das Feld f6. Das wiederum ist eine weitere Ungenauigkeit, die den Vorteil des Russen erneuert, der nun mit De4 eine Batterie auf der e-Linie aufbauen kann.

Jan Nepomnjaschtschi kommt mit Sf5 nun zwar dazu, seinen Springer auf dem nahezu optimalen Feld f5 zu platzieren. Nur sind die Bedingungen dafür jetzt nicht mehr allzu gut. Ding Liren könnte nun die Springer vom Brett nehmen und nach exf5 einfach cool mit der Dame nach d7 ausweichen. Noch kraftvoller wäre es aber vermutlich, die Matt-Drohung mit Df6 zu parieren, woraufhin möglicherweise der Russe selbst mit Sxe7+ die Springer tauschen müsste. So oder so scheint Ding Liren über den Berg zu sein. Greift keiner der beiden Spieler, die noch ausreichend Zeit zur Verfügung haben, fehl, steuert auch das dritte Weiß-Spiel von Jan Nepomnjaschtschi auf ein Remis zu.

Ding Liren investiert gut drei Minuten und findet dann auf e6 das bestmögliche Feld für seine angegriffene Dame.

Die Idee des Russen war es offenkundig, nach Dg4 das Feld f3 für seinen Springer zu behalten und den Zug 28. Sf3 mit Tempo zu bekommen. Das Problem ist nur, dass es nach De6 nicht wirklich weitergeht. Der kurzzeitige Vorteil ist gemäß Engine-Bewertung wieder gekippt. Die Stellung ist ausgeglichen zu bewerten.

Ding Liren braucht nicht allzu viel Zeit, um De5 zu finden. Sollte Nepo bei Dg4 im Sinn gehabt haben, mit Dd7 in die schwarze Stellung eindringen zu wollen, könnte Ding Liren bereits mit 28... Lxd4 29. cxd4 und Dxe4 weitere Probleme lösen.

Der Russe findet Df3 nicht und zieht stattdessen Dg4, was der Engine nicht gefällt. Der zentrale Unterschied ist, dass die Dame jetzt den Punkt f2 nicht deckt. Zwar scheitert auch in dieser Stellung der Zug Ta2 an Sd5. Mit De5 löst Ding Liren jedoch augenscheinlich die größten Probleme.

Jan Nepomnjaschtschi nimmt sich jetzt einiges an Zeit, um genau zu kalkulieren. Gewiss wird er den verlockenden Df3 als Kandidatenzug haben, muss aber natürlich prüfen, ob der Chinese nicht vielleicht entscheidendes Gegenspiel erhält. Die Dame-Läufer-Batterie strahlt bereits auf den Punkt f2, was mit Ta2 unterstützt werden könnte. Allerdings gäbe es nach 27. Df3 Ta2 die starke Antwort 28. Sd5, mit der die Stellung für Ding Liren praktisch aufgabereif wäre. Konkret muss sich der Chinese nach 27. Df3 darum kümmern, die eigene Stellung beisammen zu halten, und hätte keine Zeit für Gegenspiel.

Ding Liren offenbart seine Idee hinter exd4 und entwickelt seine Dame auf das Feld c5. Das überdeckt auch den Punkt f5 erneut, auf den bereits beide weißen Springer schauen. Jan Nepomnjaschtschi könnte diesen Plan, der bereits mit 23. h4 ins Rollen kam, nun mit Df3 noch nachdrücklicher verfolgen. Auch die Computer-Bewertung der Stellung zeigt nun einen leichten Vorteil für den russischen Großmeister an und ist von den jüngsten beiden Zügen des Chinesen nicht allzu sehr angetan.

Der Russe nimmt die Einladung an und nimmt mit dem Springer auf d4 raus. Dass Lxd4 und Dxd4 eine komfortable Stellung für Jan Nepomnjaschtschi zur Folge hätte, dürfte Ding Liren klar sein.

Nach 14-minütiger Bedenkzeit nimmt Ding Liren nun tatsächlich im Zentrum raus. Das kann auf den ersten Blick eigentlich nicht der beste Zug sein. Umso spannender ist die Frage, welchen Plan der Chinese damit verfolgt.

Der 30-jährige Chinese rutscht als erster Spieler unter die Ein-Stunden-Marke. Schon über fünf Minuten schaut sich Ding Liren die Stellung an. Noch bleibt ihm eine knappe Stunde, um die 40 Züge zu spielen, die erste Zeitkontrolle zu erreichen und die zusätzliche Stunde gutgeschrieben zu bekommen. Von Zeitnot ist also noch nicht die Rede. Entsprechend sinnvoll ist es, bei dieser zunehmend scharfen Stellung die Zeit zu nutzen und sauber zu rechnen.

Nepomnjaschtschi musste sich beim Zug h5 natürlich schon vorher überlegen, was auf c5 folgt. Unmittelbar präsentiert er nun auch seine Antwort: Er schließt mit 25. d4 die Diagonale, die der Chinese nun jedoch besser nicht mit exd4 öffnen sollte. Nach Sxd4, Lxd4 und Dxd4 stünde der Russe sehr komfortabel.

Ding Liren hat den Zug von Jan Nepomnjaschtschi aus dem Ruheraum heraus verfolgt und kommt nun raschen Schrittes auf die Bühne zurück, wo er sofort 24... c4 ausführt.

Nach gut dreieinhalb Minuten kehrt Jan Nepomnjaschtschi aus dem Ruheraum zurück, zieht jedoch nicht direkt, sondern denkt am Brett weiter nach. Nach fast einer Viertelstunde Bedenkzeit folgt dann 24. h5. Der Russe verfolgt seinen ursprünglichen Plan weiter. Das lässt dem Chinesen nun aber auch die Option c4.

Ding Liren stellt mit 23... Dc6 die Drohung auf, c4 durchzusetzen, was nach 24. h4 nun eine starke Antwort wäre. Jan Nepomnjaschtschi nimmt diesen Zug aus dem Ruheraum heraus zur Kenntnis und bleibt der Bühne zunächst noch fern.

Jan Nepomnjaschtschi nutzt nun über sechs Minuten von seinem sehr üppigen Zeitkontingent und greift dann mit 23. h4 am Königsflügel an. Damit gibt er dem Chinesen zwar die Möglichkeit, mit dem Turm auf a2 und damit auf der zweiten Reihe einzudringen, was stets sehr unangenehm ist. Allerdings hat der Russe mit h5, Sh4 und Shf5 auch einen klaren Plan, um den Ding Liren sich zunächst kümmern muss. Entsprechend sicher muss er sich bei einem möglichen Gegenangriff sein. Es wird scharf im fünften Spiel der Schach-WM!

Ding Liren hat keine Eile und schließt nun die mit 19... Ld8 begonnene Umgruppierung seines schwarzfeldrigen Läufers mit 22... Lb6 ab. Möglicherweise ist genau das eine Veränderung in der Stellung, die Jan Nepomnjaschtschi im Rahmen seiner Vorbereitung nicht auf dem Schirm hatte, denn der Russe, der für 22 Züge nur fünf Minuten und 35 Sekunden brauchte, denkt jetzt erstmals seit mehreren Minuten am Stück nach.

Jan Nepomnjaschtschi überlegt nur etwas mehr als eine Minute und tauscht dann die weißfeldrigen Läufer, woraufhin er mit 22. Se3 den Punkt f5 ein weiteres Mal überdeckt. Obwohl der Russe gewiss noch in seiner Vorbereitung sein wird, bzw. die Ideen in der Stellung kennt und verfolgt, sind die Züge insgesamt sehr logisch.

Allzu lange muss der Russe dennoch nicht nachdenken, der seinen Springer nun über f1 umgruppiert. Auch Ding Liren hat seinen nächsten Schritt auf dem Weg zu einem möglichen f5-Vorstoß aber schon geplant: Die weißfeldrigen Läufer sollen vom Brett verschwinden, weshalb er mit Se7 den Weg zum Abtausch öffnet. Nepo zögert erneut einen Moment.

Nach weiteren sieben Minuten zieht Ding Liren nun 19... Ld8, was die Stellung des schwarzfeldrigen Läufers verbessert und auch den perspektiven Vorstoß f5 ermöglicht, der aufgrund der Fesselung aktuell aber natürlich noch nicht geht. Scheinbar hat Jan Nepomnjaschtschi mit diesem Zug nicht zwangsläufig gerechnet, denn erstmals in diesem Spiel kommt keine unmittelbare Antwort des Russen.

Ding Liren entscheidet sich für den ersten Kandidatenzug und besetzt mit seinem verbliebenen Turm die a-Linie. Jan Nepomnjaschtschi zieht sofort seine angegriffene Dame nach d1.

Den zwei Minuten und elf Sekunden Gesamtbedenkzeit bei Jan Nepomnjaschtschi stehen inzwischen mehr als 40 Minuten Bedenkzeit bei Ding Liren gegenüber. Der chinesische Großmeister schaut abermals mehr als fünf Minuten in die Stellung. Ta8 bietet sich als logischer Zug an, um die Dame zu vertreiben und die offene a-Linie zu besetzen.

Ding Liren hat bereits über eine halbe Stunde seiner Zeit verbraucht und entscheidet sich mit 85 Minuten Restzeit auf der Uhr dafür, die Türme zu tauschen. Jan Nepomnjaschtschi schlägt natürlich zurück und hat auch auf 17... Dd7 die blitzschnelle Antwort 18. Te1. Der Russe hat bislang gerade einmal zwei Minuten und elf Sekunden seiner zweistündigen Zeit genutzt und ist offenkundig noch immer tief in seiner Vorbereitung drin.

Nach weiteren fast sieben Minuten des Nachdenkens bringt Ding Liren seinen Randspringer zurück ins Zentrum. Auf 15... Sc6 folgt erneut die aufs Brett geblitzte Antwort von Jan Nepomnjaschtschi, der offenkundig nach wie vor in seiner Vorbereitung ist: 16. Ld5.

Ding Liren zieht nun tatsächlich 12... h6, woraufhin Jan Nepomnjaschtschi binnen Sekunden seinen schwarzfeldrigen Läufer gegen den Springer gibt und nach dem Wiederschlagen des Chinesen auch noch die a-Bauern auf der b-Linie gegeneinander abtauscht. Anschließend bringt er mit 15. Sbd2 seine letzte Leichtfigur ins Spiel. Nach 97 Sekunden für 15 Züge beim schnell spielenden Russen muss abermals Ding Liren tiefer in die Stellung schauen.

Jetzt ist es am chinesischen Großmeister, tief in die Stellung zu schauen und Varianten zu berechnen, um die mögliche Idee hinter 12. Lg5 zu verstehen. Bereits zehn Minuten lang lässt der nächste Zug des Chinesen auf sich warten. Ein Zug wie 12... h6 drängt sich zwar auf. Nimmt Nepomnjaschtschi dann allerdings auf f6 raus, könnte genau dieser Zug sich letztlich als störend erweisen, weil nach einem etwaigen Tausch der Läufer wohl lieber nach g6 auf g7 entwickelt werden würde. Es ist jedoch gar nicht mal so leicht für Ding Liren, eine Alternative zu h6 zu finden. Möglicherweise die Vervollständigung der Entwicklung. Nach Dd7 wären einerseits die Dame im Spiel und andererseits die Türme verbunden.

Da ist die erste Abweichung im fünften Match der Schach-WM 2023! Die schnelle Antwort 11... c5 dürfte gezeigt haben, dass Ding Liren das Match zwischen Alireza Firouzja und Anish Giri (2022) ebenfalls kennt. Basierend auf dieser nur in diesem einzigen Spiel zuvor gespielten Stellung packt Jan Nepomnjaschtschi nun allerdings seine möglicherweise vorbereitete Neuerung aus: 12. Lg5. Der Russe hat insgesamt für diese zwölf Züge nur 69 Sekunden gebraucht und verlässt nun die Bühne, um seinen chinesischen Kontrahenten seinen Gedanken zu überlassen.

Nepomnjaschtschi antwortet auch auf den logischen Zug 10... Sa5 binnen weniger Sekunden mit 11. La2. Ein Zug, den Alireza Firouzja im August 2022 erstmals gegen Anish Giri spielte, womit der iranisch-französische Großmeister damals einen Sieg verbuchen konnte. Anish Giri spielte damals den gleichen Zug, mit dem nun auch Ding Liren fortsetzt: 11... c5.

Während Ding Liren nach erster kurzer Bedenkpause mit dem logischen und bestens bekannten Zug 9... Lb7 fortsetzt, spielt Jan Nepomnjaschtschi mit 10. a4 nun eine seltene Abweichung. Der Chinese muss erstmals länger nachdenken.

Insbesondere Jan Nepomnjaschtschi blitzt die Züge im Eiltempo heraus, wobei auch Ding Liren nicht allzu lange nachdenken muss. Die Variante ist offenkundig beiden Spielern bekannt. Es gibt überdies noch zahlreiche Vorgängerpartien, bei denen exakt diese Stellung bereits auf dem Brett war.

Der russische Großmeister folgt nicht etwa erneut der verzögerten Abtauschvariante, sondern geht mit dem Zug 6. d3 in die Martinez Variante der Spanischen Partie. Interessant.

Jan Nepomnjaschtschi geht mit 3. Lb5 erneut in die Spanische Partie. Im Auftaktspiel der Schach-WM überraschte er dann mit der verzögerten Abtauschvariante, die sich Ding Liren aber inzwischen gewiss tiefer angeschaut haben dürfte. Schwer vorstellbar, dass der Russe dieser Variante erneut folgt.

Jan Nepomnjaschtschi wagt keine weiteren Experimente und zieht 1. e4. Sehen wir damit erneut die Spanische Partie?

Jan Nepomnjaschtschi erscheint fast eine Viertelstunde vor Spielbeginn am Brett, richtet sich ein und zeigt Präsenz. Gute zehn Minuten später betritt jetzt auch Ding Liren die Bühne. Der Handschlag erfolgt. In wenigen Augenblicken kann das fünfte Match der Weltmeisterschaft 2023 beginnen.

Der Druck lastet heute klar auf Jan Nepomnjaschtschi, der bereits beim WM-Kampf 2021 gegen Magnus Carlsen nach seiner ersten Niederlage eingebrochen ist. Nun ist es am russischen Großmeister, seine Resilienz unter Beweis zu stellen. Die gute Nachricht lautet immerhin, dass er nach seiner ersten Niederlage bei dieser Schach-WM nicht in Rückstand geraten ist, wie es vor zwei Jahren in Dubai der Fall war.

Nachdem Ding Liren an den ersten beiden Spieltagen weder am Brett noch in den Pressekonferenzen eine gute Figur abgab, ist der Chinese seit dem Ruhetag am Dienstag nicht mehr wiederzuerkennen. Dadurch, dass er zuletzt stets fokussiert am Brett saß, strahlte er sowohl während der Spiele als auch in den anschließenden Pressekonferenzen eine völlig andere Präsenz aus. Hinzu kommt, dass er gleich zwei fehlerfreie Partien in Folge hinlegte. Wickelte er mit den schwarzen Steinen am Mittwoch noch ins Remis ab, nutzte er am Donnerstag mit Weiß den ersten Fehler des Russen gnadenlos aus.

Der russische Großmeister eröffnete am ersten Spieltag mit seinem Standardzug 1. e4 und überraschte Ding Liren am Mittwoch dann mit dem Zug 1. d4, den er bislang in nur ca. 10% seiner Partien im klassischen Schach spielte. Wirklich wohl schien der Nepomnjaschtschi sich jedoch in dem d4-System nicht gefühlt zu haben, weshalb es eher unwahrscheinlich ist, dass er heute erneut abweicht. Viel spricht dafür, dass wir heute wieder 1. e4 sehen.

Der WM-Kampf ist nach den ersten vier von bis zu 14 Spielen ausgeglichen. Während beide Weiß-Partien von Jan Nepomnjaschtschi remis endeten, verlor Ding Liren seine erste Weiß-Partie, ehe er am Donnerstag ebenfalls mit den weißen Figuren zurückschlagen und auf 2,0 zu 2,0 ausgleichen konnte.

Willkommen zurück aus Astana! Hier findet heute die fünfte Partie der Schach-WM 2023 zwischen Jan Nepomnjaschtschi und Ding Liren statt. Der erste Zug wird um 11:00 Uhr ausgeführt.