In einem sehr intensiven und giftigen Spiel trennen sich Ding Liren und Jan Nepomnjaschtschi remis. Der Chinese konnte sich zunächst einen Vorteil erspielen, geriet dann jedoch durch Tb1 ins Hintertreffen. Der Russe berechnete ein brillantes Damen-Opfer, das zum vernichtenden Matt-Angriff geführt hätte. Ding Liren konnte die Dame somit nicht annehmen und musste sich selbst präzise gegen das Matt wehren, was ihm gelang. Die erste Partie im Schnellschach ist damit vorbei. In Kürze geht es mit dem zweiten Match weiter.

Ding Liren erlaubt das Verdoppeln der gegnerischen Türme auf der h-Linie, woraufhin Jan Nepomnjaschtschi mit dreimaliger Stellungswiederholung ins Remis abwickeln kann. Beziehungsweise kommt es nach den ersten zwei Schachgeboten zum Remis durch Einigung, da beide Spieler wissen, worauf die Stellung jetzt hinausläuft.

Statt auf den Bauern auf b6 zu gehen, fesselt Ding Liren den Springer auf e5 und versucht konkret eine Figur zu gewinnen. Jan Nepomnjaschtschi setzt derweil mit 30... Td1 zum Gegenangriff an.

Diese Entscheidung von Jan Nepomnjaschtschi überrascht: Mit 27... Lh3 bietet er den Abtausch der weißfeldrigen Läufer an, was eigentlich nicht gut sein kann. Während der Läufer des Chinesen völlig passiv auf g2 nur in die Verteidigung eingebunden ist, war der weißfeldrige Läufer des Russen eine wichtige Angriffsfigur für viele Matt-Motive. Das kann eigentlich nur Ding Liren geholfen haben, obschon die Stellung objektiv als ausgeglichen bewertet wird.

Jan Nepomnjaschtschi nimmt sich seinerseits noch ein paar Minuten Zeit, um die Optionen durchzurechnen. Dann lässt er sich jedoch auf den Abtausch der Damen ein. Weil Ding Liren jetzt mit dem Springer nehmen kann, bleibt der Turm auf c3 weiter auf dem Punkt f3 drauf, weshalb die angesprochenen Matt-Ideen im Moment nicht funktionieren.

Der chinesische Großmeister findet seinerseits mit 26. Sb5 den einzigen Zug, der die hoch komplexe Stellung ausgeglichen hält. Das kommt jedoch auch zu einem hohen Preis. Nur noch fünf Minuten und 47 Sekunden hat Ding Liren für den Rest der Partie auf der Uhr.

Jan Nepomnjaschtschi bietet mit dem brillanten Zug 25... axb6 nun ein Damen-Opfer an, das Ding Liren jedoch nicht annehmen kann. Nach Txc7 folgt Sf3+ mit vernichtendem Matt-Angriff. Die Messlatte hängt bereits in der ersten Partie Schnellschach extrem hoch.

Der Zug 23. Tb1 von Ding Liren ist der erste ernsthafte Fehler des Chinesen, der das Blatt jetzt leicht wendet, weil der russische Springer über e4 gefährlich auf das Feld f3 zielt. Tauschen sich Springer und Läufer, droht mit dem weißfeldrigen Läufer des Russen auf f3 ein nicht mehr zu parierendes Matt mit Th1, um das sich der Chinese kümmern muss.

Jan Nepomnjaschtschi stemmt sich mit 21... Td8 nicht wirklich gegen das Eindringen des gegnerischen Springers, den Ding Liren mit 22. Sd6 nun in der gegnerischen Hälfte verankert.

Ding Liren nutzt die Chance, mit 20. e3 den angegriffenen Bauern auf dem Brett zu halten. Nachdem Nepo seinen Turm mit Tempo ins Zentrum bringt, liegt nun allerdings der äußerst unangenehme Zug Sd6 in der Luft, mit dem der Chinese einen absoluten Monster-Springer in der gegnerischen Stellung bekäme.

Mit 19. Se4 bietet Ding Liren seinem Gegner an, den Bauern auf e2 zu schlagen, was der Russe aber ablehnt. Nepo setzt mit 19... Tae8 fort.

Beide Spieler können das hohe Tempo jetzt nicht mehr halten und müssen ihre Bedenkzeit zunehmend nutzen. Kein Wunder, denn es wird zunehmend taktischer. 18. Sg5 stellt beispielsweise die Drohung auf, De4 folgen zu lassen mit Matt-Drohung auf h7 und Gewinn des weißfeldrigen Läufers auf f5. Nepo muss sich überlegen, wie er sich dagegen wehrt. Tae8 bietet sich als erster Kandidatenzug an.

Ding Liren überlegt mehr als fünf Minuten und setzt dann mit 17. Dxd5 fort, was Jan Nepomnjaschtschi umgehend mit 17... Lxg4 beantwortet. Zwei weitere Bauern - darunter der Zentrumsbauer des Russen - verschwinden vom Brett.

Der Chinese hält jetzt inne und rechnet erstmals länger. Er könnte Dxd5 spielen, womit er allerdings seinen Bauern auf g4 abgeben würde. Eine Alternative wäre es vielleicht, mit Da4 fortzusetzen und den g-Bauern auf dem Brett zu behalten. Auch der Vorstoß mit g5 könnte eine Idee sein. Optionen, die der Chinese nun schon länger als drei Minuten berechnet.

Mit 15. Tc1 zwingt Ding Liren seinen Gegner dazu, das Läuferpaar direkt wieder abzugeben. Lxc3 ist verpflichtend, da sonst mit Sxd5 der wichtige d-Bauer fällt.

Die ersten Leichtfiguren und Bauern verschwinden vom Brett. Jan Nepomnjaschtschi verbleibt zwar mit dem Läuferpaar. Die Stellung sieht aber potenziell aus weißer Sicht etwas angenehmer aus. Das bestätigt auch die Computer-Engine, die Ding Liren einen hauchzarten Eröffnungsvorteil attestiert.

In den klassischen Partien war der chinesische Großmeister stets recht schnell aus seiner Vorbereitung raus und musste in frühen Phasen der Eröffnung lange überlegen. In dieser Schnellschach-Partie hingegen hat er seine bisherigen elf Züge allesamt sofort ausgeführt. Ausnahmsweise hat Ding Liren damit den Zeitvorteil.

Nachdem die ersten neun Züge runtergeblitzt wurden, überlegt Jan Nepomnjaschtschi nach 10. O-O nun erstmals etwas länger.

Interessant ist, dass Jan Nepomnjaschtschi nach 8. b4 binnen Sekunden mit dem keineswegs natürlich wirkenden Zug 8... Sg4 fortsetzt. Das ist aber tatsächlich die Empfehlung der Computer-Engine. Ist der Russe mit dieser Stellung vertraut und hat sie theoretisch bereits analysiert? Das wäre ein großer Vorteil.

Ding Liren beginnt zwar mit seinem Standardzug 1. d4, bringt dann aber erneut eine bislang noch nicht gespielte Variante aufs Brett. Die Züge kommen noch sehr rasch. Bereits mit 6... Sc6 ist aber eine einzigartige Stellung erreicht.

Nachdem Jan Nepomnjaschtschi zuerst am Brett Platz nimmt, ist nun auch Ding Liren da. Der Handschlag erfolgt und in Kürze kommen die ersten Züge aufs Brett, die hier im Liveticker am Brett sowie in der Kommentierung verfolgt werden können.

Während Ding Liren als Weltranglistendritter im klassischen Schach im Blitzen nicht einmal in den Top 100 der Welt zu finden ist, ist Jan Nepomnjaschtschi bei den richtig kurzen Bedenkzeiten aktuell auf Platz elf der Weltrangliste zu finden. Der russische Großmeister hat von 39 Partien im Modus Rapid oder Blitz übrigens auch 16 Spiele gegen Ding Liren gewonnen (25 Remis, elf Niederlagen) und führt den direkten Vergleich damit an.

Sollte es auch nach vier Partien im Schnellschach remis stehen, würde anschließend im Blitzen (fünf Minuten pro Spieler mit drei Sekunden Inkrement pro ausgeführtem Zug) der Weltmeister entschieden werden. In einigen Stunden steht damit fest, wer Magnus Carlsen beerbt und zum 17. Schachweltmeister der Geschichte avanciert.

Weil in 14 Partien im klassischen Schach bei jeweils drei Siegen beider Spieler und acht Remis keine Entscheidung gefallen ist, treten beide Spieler heute im Schnellschach gegeneinander an. Angesetzt sind vier Partien. Es gewinnt der Spieler, der zuerst 2,5 Punkte erreicht. Als Bedenkzeit stehen 25 Minuten pro Seite zur Verfügung, wobei jeder ausgeführte Zug mit einem Inkrement von zehn Sekunden versehen ist.

Guten Tag und herzlich willkommen aus Astana, Kasachstan, wo heute im Rahmen der Tiebreaks die Entscheidung fällt, wer die Schach-WM 2023 zwischen Jan Nepomnjaschtschi und Ding Liren gewinnt. Das erste Spiel startet um 11:00 Uhr.